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Newtons Schatten

Newtons Schatten

Titel: Newtons Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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Titus Oates und Israel Tonge, es gebe eine Konspiration von Jesuitenpriestern, den König beim
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    Pferderennen in Newmarket zu ermorden. Ich bezweifle nicht, dass es Jesuiten gab, welche alle möglichen Dinge planten, um den Katholizismus in diesem Land wieder zu etablieren. Aber den König zu ermorden gehörte nicht zu ihren Plänen. Dennoch wurden viele Katholiken gehängt, ehe sich herausstellte, dass Oates ein meineidiger Verleumder war. Er hätte selbst an den Galgen gehört, nur dass auf Meineid nach dem Gesetz nicht die Todesstrafe steht. Also wurde Oates stattdessen ausgepeitscht, an den Pranger gestellt und lebenslänglich ins Gefängnis geworfen.»
    «Hat Oates Sir Edmund Berry Godfrey umgebracht?»
    «Wer ihn umgebracht hat, ist nach wie vor ein Mysterium», sagte Newton. «Manche glauben bis heute, dass er von einem Schurken getötet wurde, welcher sich dafür rächen wollte, dass er als Richter ihn zu einer Gefängnisstrafe verurteilt hatte.
    Solche Dinge sind uns ja auch nicht unbekannt. Ich habe sogar das Gerücht gehört, dass Godfrey zu jenen Grünbändlern gehörte, welche das Land wieder zur Republik machen wollten und dass er ermordet wurde, weil er seine Mitstreiter zu verraten drohte. Aber ich selbst ziehe eine einfachere Erklärung vor.
    Ich glaube, dass Godfrey sich selbst strangulierte, indem er sich in eine Schlinge lehnte; er war allen Beschreibungen nach ein höchst melancholischer Mensch und hatte Angst, als Verräter entlarvt und entsprechend bestraft zu werden. Als seine beiden Brüder seinen Leichnam fanden, fürchteten sie die Schande und auch den Verlust seines Geldes, denn er war ein reicher Mann und das Vermögen eines Selbstmörders fällt an den Staat, da Selbstmord ein felo de se ist. Also verstümmelten sie seinen Leichnam und schoben es auf die Katholiken.
    Sicher ist nur, dass die Wahrheit nie mehr ans Licht kommen wird. Aber bis heute sind viele Leute davon überzeugt, dass es die Katholiken waren, die ihn umbrachten. Major Mornays Meinung scheint ja offenkundig. Die Tatsache, dass er diesen Dolch besaß und sein Benehmen in jenem zwielichtigen Haus
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    deuten doch wohl darauf hin, dass sein Hass auf die Katholiken keine Grenzen kennt.»
    «Was werden wir jetzt tun?»
    Newtons Stirn zog sich über der Nasenwurzel zusammen und sein schlanker Zeigefinger streichelte seine Nase wie einen kleinen Pudelhund, was ihm etwas höchst Scharfsinniges verlieh.
    «Wir werden ihm seinen Dolch zurückgeben», sagte er ruhig.
    «Und ihn dadurch nur noch mehr provozieren. Das Ganze ist schlicht eine Sache der Bewegung, wie so vieles andere auch, was ich Euch eines Tages mit Papier und Bleistift demonstrieren werde, damit Ihr die Welt versteht. Denn jeder Körper verharrt, soweit es an ihm ist, in einem Zustand der Ruhe oder der gleichförmigen, geradlinigen Bewegung, es sei denn, eine Kraft veranlasst eine Änderung. Das gilt für Major Mornay ebenso wie für die Planeten und Kometen. Aber wir müssen unsererseits gerüstet sein. Wir müssen wachsam sein. Denn zu jeder actio existiert immer auch eine gleichstarke reactio.»
    «Aber Sir, das ist doch Eure berühmte Theorie, oder nicht?»
    «Sehr gut, Ellis. Aber es ist keine Theorie. Es ist die Kodifizierung von Fakten, ebenso wie das englische Recht.
    Mehr noch, denn ich verfüge über mathematische Beweise, dass diese Gesetze unabänderlich sind.»
    «Ich wollte, ich könnte begreifen, was sie für die Welt bedeuten», sagte ich.
    «Dann begreift einfach nur das hier», sagte Newton und ließ den Godfrey-Dolch so fallen, dass die Spitze im Dielenboden stecken blieb. «So wie dieser Dolch zur Erde fällt, fällt auch der Mond zur Erde. Die Kraft, die diesen Dolch zieht, zieht auch den Mond. Und die Kraft, die den Mond zieht, lenkt auch die Planeten und alles, was im Himmel ist. Der Himmel ist auf die Erde geholt. Das, mein Freund, ist Gravitation.»
    Der Himmel ist auf die Erde geholt? Vielleicht ist diese Erde ja
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    alles, was es an Himmel gibt.
    Zunächst kehrte ich mich von Jesus ab. Und das war Newtons Werk, denn da war kaum etwas im Neuen Testament, wogegen er keine Einwände hatte. Das Alte Testament konnte er nur teilweise akzeptieren. Das Buch Salomo war ihm sehr wichtig.
    Genau wie Daniel. Und Hesekiel. Aber dass man sich die Bücher herauspickte, die einem passten und die anderen verwarf, schien mir doch eine höchst seltsame Art von Glauben.
    Lange Zeit dachte ich, es seien Newtons Ansichten über die Heilige

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