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Newtons Schatten

Newtons Schatten

Titel: Newtons Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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Fechten? Zum Teufel, Sir, ich dachte, Ihr wolltet ihm irgendein Geständnis entlocken.»
    «Es wird kein Duell geben», sagte Newton. «Dazu fehlt ihm der Mumm. Das war doch sonnenklar.»
    «Für mich ist kaum etwas sonnenklar, was mit Euch zu tun hat», sagte ich bitter. «Ich bin in dieser Sache, wie in allem, nur Eure Kreatur.»
    «Nein, Sir, nicht Kreatur», sagte Newton vorwurfsvoll. «Ich erschaffe nichts. Ich versuche lediglich, die Grenzen dessen, was wir wissen, zu verschieben. Und so wie die alten Griechen auf den Gott Pan und sein Flötenspiel vertrauten, müsst Ihr dieses Vertrauen gelegentlich auch aufbringen und mich eine kleine Melodie auf Euch spielen lassen. Meine Finger mögen Euch manipulieren, aber die Musik kommt von Euch, mein lieber Freund, die Musik kommt von Euch.»
    «Dann ist das hier eine Melodie, die mir nicht gefällt. Eine Rapierspitze lässt sich leichter lenken als eine Pistolenkugel.
    Und ich bin nicht so ein guter Schütze, dass ich ihm mit Blei die Haare kämmen könnte. Wenn ich ihn treffe, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass ich ihn töte. Und was ist mit Euch, Sir? Als meinem Sekundanten? Denkt Ihr denn gar nicht an Eure Position? Duelle sind gegen das Gesetz. Sir William Coventry wurde in den Tower geworfen, nur weil er den Herzog von Buckingham zum Duell gefordert hatte. Von Eurem Leben und Eurer Gesundheit ganz zu schweigen. Ihr wisst doch, es
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    kommt vor, dass Sekundanten sich auch in den Kampf verstricken und ihr Teil abbekommen, obwohl die Hauptkontrahenten es gar nicht wollen. Ihr könntet getötet werden, Sir. Und was würde dann aus Miss Barton?»
    «Und ich sage noch einmal, so weit wird es nicht kommen. Für mich steht fest, dass Major Mornay von anderen hier im Tower gelenkt wird. Vielleicht von seinem alten Galeerenkameraden, Sergeant Rohan. Aber diese Forderung erfolgte gegen ihren Willen und ich glaube, dass sie sich nunmehr zeigen werden, um zu einem Arrangement mit uns zu kommen. Denn ein Duell würde nur Aufmerksamkeit erregen, was sich mit ihren Heimlichkeiten nicht verträgt. Das Heimliche scheut den Skandal. Und einen solchen gäbe es, wie Ihr ganz richtig sagt, wenn es zu einem Duell zwischen der Münze und der Ordnance käme.»
    Ich weiß nicht, was er erwartete. Ich bezweifle, dass er es selbst wusste. Bei all seiner wissenschaftlichen Methodik schien dies doch ein ziemlich unwissenschaftliches Vorgehen. Später an diesem Tag beschönigte er die Sache noch weiter und nannte sie ein Experiment, aber mir wollte nicht einleuchten, dass sie irgendwie der Wahrheitsfindung dienen könnte. Es kam mir eher vor, als stachle man einen Bären mit einem heißen Eisen an.
    Sicher ist nur, dass keiner von uns das nächste Geschehnis vorhersah, wofür Newton sich ausgiebig schämen sollte und zwar zu Recht, denn mir scheint doch, dass niemand ein so genanntes Experiment anstellen sollte, ohne wenigstens eine gewisse Vorstellung davon zu haben, was dabei herauskommen könnte. Wenn Wissenschaft so aussieht, will ich nichts damit zu tun haben, denn wo bleibt da der gesunde Menschenverstand? In meinen Augen ist das, als ob sich ein Mädchen zu einem legt und gar nicht bedenkt, dass man versuchen könnte, weiterzugehen. Denn wenn man etwas herauszufinden sucht, scheint es doch besser, sich von der Überlegung lenken zu lassen als vom Zufall, sonst muss das Unterfangen ja Ergebnisse
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    zeitigen, die man gar nicht gewollt hat.
    Wie zum Beispiel den Tod eines Menschen.
    Major Mornay wurde am selben Abend erhängt in der Münze gefunden. Ich sage mit Bedacht «in der Münze», denn die Umstände seines Todes provozierten einen weiteren erbitterten Streit zwischen meinem Herrn und Lord Lucas. Mornay hatte, wie es schien, ein Seil so um eine Zinne des Broad Arrow Tower geschlungen, dass, als er sic h von der Mauerkrone stürzte, seine Füße beinahe im Garten des Münzprüferhauses aufkamen und so war es denn auch die Frau eines der Münzprüfer, Mrs. Molyneux, die den Toten fand.
    Mister Molyneux holte unverzüglich Newton herbei und ging dann wieder in sein Haus, um seine verstörte Frau zu beruhigen.
    Mein Herr war immer noch dabei, den Leichnam zu studieren, als gedenke er eine Skizze für ein Bildnis des Judas Ischariot anzufertigen. Da erschienen plötzlich Lord Lucas und einige andere Ordnance-Offiziere auf dem Broad Arrow Tower und erklärten, der Tod des Majors, denn dass er es war, ging sofort herum, sei ausschließlich Sache der Ordnance. Und sie

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