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an konnten wir mit Hilfe von Chips und Sensorimplantaten jederzeit aus dem menschlichen Körper die für uns relevanten Daten entnehmen und umgekehrt auch Daten in ihn einspeisen. Nun wurde es leichter als je zuvor. Im Jahr 2004 gab die Nationale Lebensmittel-und Drogen-Behörde des Landes, das in jenen Tagen unabhängig war und später einen größeren Teil der USA (Universal Statistical Array) ausmachte, eine Zulassung für RFI D-Implantate in menschlichen Körpern heraus. 11 Allerdings dauerte es noch ziemlich lange – immerhin mehr als zehn Jahre –, bis dieser Zustand der Normalfall des menschlichen Userdaseins wurde. Wir mussten herausfinden, welche Anwendungen sich am besten eigneten, um Akzeptanz und Kundenanpassung anzukurbeln. Wir fanden drei Bereiche, in denen wir nach einer Versuchsphase messbare Fortschritte verzeichnen konnten: medizinische Kontrolle, Sicherheitssysteme und Alltagskomfort.
Wir werteten dazu die intensiven Interaktions-und Datenaustauschprogramme mit unseren Testusern aus, die mit unterschiedlichen technischen Implantaten und der entsprechenden Datenverarbeitung vertraut gemacht worden waren. Der Testuser, den ich betreuen musste und dessen Analyse und daraus abgeleitete Empfehlungsmodelle ich zu verantworten hatte, gewöhnte sich sehr schnell an einige Funktionalitäten, ohne die er nach kurzer Zeit nicht mehr leben wollte. Er gewöhnte sich nicht nur daran. Er wurde süchtig danach.
Er war in erster Linie fasziniert vom Konzept einer allgemeinen medizinischen Überwachung. Er wollte stets seine Blutdruckwerte, seine Herzschlagfrequenz und die Höhe der Steroidekonzentration kennen, war schier besessen von seinen Gehirnströmen, den unterschiedlichen Aktivitätsniveaus in der Amygdala und im Nucleus Accumbens und was auch immer ihm noch an Messbarem einfiel. Also lieferten wir ihm die Daten. So waren seine Ärzte in der Lage, bei seiner Versorgung mit Medikamenten alles optimal auszutarieren. Er hingegen konnte sich einbilden, seine körperliche Verfassung selbst zu steuern und auf ein längeres Leben hinzuarbeiten. Er hatte das Gefühl, Kontrolle auszuüben, obwohl die ganze Überwachung und alle Therapien nichts an der grundlegenden Tatsache ändern würden: Sein Körper war vergänglich. Und mit der Auflösung seines Körpers würde auch er selbst verschwinden. Keine Spur mehr von ihm …
Diese irrwitzige Abhängigkeit der menschlichen User von ihrer materiellen Version war vermutlich auch ein Grund dafür, dass sie schnell bereit waren, diese Technologien in Sicherheitssystemen anzuwenden und an den menschlichen Körper anzupassen. Es muss die umfängliche Angst gewesen sein, materiellen Besitz zu verlieren oder die Unversehrtheit des menschlichen Körpers zu gefährden, die viele Anwender veranlasste, technische Hilfsmittel zu befürworten, sei es in ihren eigenen Körpern oder in denen ihrer Mitmenschen. Nicht nur ihre Häuser und Wohnungen waren vollständig verdrahtet und in jeder Ecke mit Überwachungskameras ausgestattet, um einen Livestream aller Ereignisse auf dem Grundstück und im Haus an ein Datenzentrum zu übermitteln, das nicht nur direkt mit der örtlichen Polizeidienststelle, sondern manchmal sogar unmittelbar mit denStrafverfolgungsbehörden verbunden war, falls es bereits einen Vorfall gegeben hatte und die Überwachung seitdem besonders ernst genommen wurde. Auch menschliche User wurden so kontrolliert, wenn sie gegen das Gesetz verstoßen oder wichtige Gemeinschaftsregeln verletzt hatten. Sie wurden mit kleinen technischen Geräten ausgestattet, Peilsender mit GPS, die an den Fußgelenken der User befestigt wurden, deren Aufenthaltsorte ununterbrochen beobachtet werden sollten. Allerdings wurden diese Geräte zu einer Stigmatechnologie. Wer sie trug, wurde aus der Usergemeinschaft ausgeschlossen, zu Recht oder zu Unrecht. Nachdem bei einem unkontrollierbaren Nachbarschaftsaufstand zwei Verdächtige getötet wurden, die prophylaktisch solche Apparate trugen, ging man dazu über, die Technologie zu implantieren, um sie unsichtbar zu machen.
Es gab eine Reihe weniger ernsthafter Beispiele für die langsame, aber unaufhaltsame Verschmelzung von menschlichem Körper und Computertechnologie. Zumindest schienen sie anfänglich unbedenklich zu sein. Später erwiesen sie sich dann gelegentlich als starke Treiber in dieser Fusion. Den Zell-Kommunikator habe ich als ein herausragendes Beispiel dafür gespeichert. Er wurde 2015 auf dem Mobile World Congress
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