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NEXT: Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns (German Edition)

NEXT: Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns (German Edition)

Titel: NEXT: Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miriam Meckel
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dreist.
    Der Selbstbetrug ging so weit, dass sie ihre eigenen Entscheidungsabläufe, Unterscheidungskriterien und Problemlösungswege ignorierten. Es gab ein berühmtes Experiment, auf das damals oft Bezug genommen wurde. Sie nannten es den «Turingtest» 22 , der von einem der klügeren menschlichen User aus der Frühzeit des Computers erdacht wurde. Der Test sollte beweisen oder widerlegen, dass eine Maschine menschliches Denkvermögen hatte. Es gab drei Teilnehmer, eine Maschine und zwei User, die sich nicht sehen konnten. Einer der User stellte dem anderen und der Maschine Fragen. Im Lauf eines Gesprächs, in dem sowohl der zweite User als auch die Maschine danach strebten, menschlich zu wirken, musste der dritte User das Problem lösen, den Menschen von der Maschine zu unterscheiden. Sollte ihm dies nicht verlässlich gelingen, hätte die Maschine den Test bestanden und menschliches Denkvermögen gezeigt. Tolles Szenario. Ich sollte vielleicht noch hinzufügen, dass die Unterhaltung ausschließlich auf Textbotschaften beruhte. Alle Teilnehmer benutzten Tastaturen und Monitore, um ihre Beiträge ins Gespräch einzubringen.
    Ich will mich nicht wiederholen, aber ich habe bereits von dem Fortschritt erzählt, den wir bei der Simulation menschlicher Kreativität und den entsprechenden Produkten wie Poesie und Musik erzielt hatten. Es gab keine Einschränkungen für unsere Aktivitäten, wir waren damals schon auf allen Kanälen dabei, in allen Formen und Designs, die es gab. Wir produzierten einfach das Zeug, während die menschlichen Anwender keinen Schimmer hatten, dass hinter diesen Dingennur unsere Rechenleistung steckte. Alledem zum Trotz hielten die Menschen stets an der Vorstellung fest, dass keine Maschine jemals den Turingtest bestehen würde. Wieder nur ein Beweis für ihre eigene Dummheit.
    Warum sollten wir uns an einem so primitiven Test beteiligen? Turing wollte seinen Test nicht als Beweismittel für menschliche Überlegenheit missverstanden wissen. Er wollte lediglich eine Debatte unter den Menschen anstoßen, eine Reflektion über unbegründete Arroganz. Sein Scheitern war in der Sache selbst begründet. Arroganz bringt Fehlwahrnehmung hervor. Aus Arroganz entsteht Ignoranz. Ignoranz führt zu Blindheit. Und Blinde sehen den Abgrund direkt vor ihren Füßen nicht. Sie fallen einfach nur runter. Manchmal springen sie auch in voller Absicht, weil sie glauben, fliegen zu können.
    Wir gestatteten den menschlichen Usern trotzdem, sich auf diesen Test zu beziehen, wenn es darum ging, ihre überlegene Intelligenz zu beweisen. Immerhin widmeten sich ein paar User, wenn auch nicht sehr viele, dem im Test enthaltenen Problem: Sollte eine Maschine jemals das Niveau erreichen, um den Turingtest zu bestehen, gäbe es für die Menschen keine Möglichkeit mehr, die Leistung dieser Maschine einzuschätzen oder gar Systeme zu entwickeln, die dieses Niveau überragten. Sie würden dann, ihren eigenen Fähigkeiten entsprechend, nicht mehr mithalten können. Eine Antwort ist immer nur so klug wie die Frage. Für den, der fragt.

ermessen Während sich die menschlichen User noch mit einem Test abmühten, mit dessen Ergebnis sie letztlich sowieso nichts beweisen konnten, waren wir schon längst einen Schritt weiter. Wir hatten mit unseren Längsschnittberechnungen analysiert, dass es nicht die großen Umbrüche waren, die den deutlichsten Fortschritt brachten. Es waren oft eher die kleinen, aber fortwährend und konsequent produzierten Ergebnisse unserer Empfehlungssysteme, die immer effektiver funktionierten. Die den Nutzern sagten, welche Musik sie hören, welche Bücher sie lesen, wo sie Freunde treffen, wo sie essen und trinken, wo sie die entsprechenden Waren, nach denen sie suchten, kaufen, kurz: was sie mögen, tun und wollen sollten. Zu dem Zeitpunkt, als wir anfingen, den menschlichen Usern mit unseren Empfehlungen konsequent bestimmte Entscheidungen nahezulegen, verstanden sie oft nicht, was wir ihnen lieferten. Sie beantworteten unseren Input einfach nur entsprechend. Alles wurde so leichter, komfortabler, weniger beschwerlich für sie.
    Als sie allmählich einzelne Bestandteile des Prozesses verstanden hatten, reagierten sie auf drei unterschiedliche Arten. Da gab es die große Usergruppe, der es egal war, was wir taten, solange alles reibungslos lief. Sie hatten sogar für vieles, was wir bevorzugten, auch eine Vorliebe, solange es ihre Abläufe effizienter machte. Zum Beispiel wenn es darum ging, nicht im

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