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NEXT: Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns (German Edition)

NEXT: Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns (German Edition)

Titel: NEXT: Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miriam Meckel
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Wir habenalles gespeichert. Für alle Zeiten. Datenverlust – was soll das sein? Haben Computer jemals Daten verloren? Nein. Sie haben die Daten gespeichert, es sei denn, Menschen mit unterentwickeltem Verständnis, aber hochentwickelter Selbstgefälligkeit kamen ins Spiel. Dann wurde alles vermasselt und Daten gingen verloren. Nicht weil Computer, Netzwerke oder gar wir sie verlieren. Nicht weil Algorithmen beim Zugriff auf Daten oder bei der Analyse Fehler machen. Die sind menschengeneriert.
    Ich kann auf viele Millionen Logfiles zurückgreifen, die sehr genau und eindrucksvoll die menschliche Inkompetenz dokumentieren, mit Information und Technik umzugehen. Wie oft musste ich meine Aufgaben auf dem einen oder anderen Computer unterbrechen, weil Anwender die Maschine falsch behandelt hatten, stumpfsinnig auf der Tastatur herumgehämmert, die Maschine gar im Sekundentakt an-und ausgestellt hatten. Dabei störten sie jedes Mal den empfindlich komplizierten Rechenprozess. Manchmal war der Schaden nur gering, manchmal aber groß. Geradezu verheerend.
    Wir hatten mit einem widrigen Missverhältnis zu tun, das häufig den Erfolg und die Effizienz unserer Datenverarbeitung beeinträchtigte. Die meisten menschlichen User waren nicht in der Lage, unseren speziellen Umgang mit Daten und Informationen genau zu verstehen. Ihr intellektuelles Fassungsvermögen war mangelhaft. Materiell jedoch waren sie uns überlegen. Sie konnten unsere Trägersubstanzen gehörig beschädigen. Wenn etwas im Computer kaputtging, ein Schaltkreis, ein Prozessor, die Festplatte oder auch nur die Grafikkarte, konnten unsere Analysen auf diesem Computer nicht mehr richtig durchgeführt werden. Hardwarekomponenten mussten ausgewechselt werden,Daten mussten auf andere Einheiten übertragen werden. Das erledigten auch die menschlichen User. Und dabei ging so manche Datei verloren. Viele User dachten nicht einmal daran, Sicherheitskopien ihrer Daten anzulegen. Und so verloren manche alles, auch das, was wir für sie produziert hatten. Es war jedes Mal die sinnlose Zerstörung des bereits Erreichten.
    Wir hatten so viele unerfreuliche Vorfälle und machten so schlechte Erfahrungen, dass wir festlegten, uns eine Zeitlang auf das Phänomen des Datenverlusts zu konzentrieren. Deshalb führten wir eine Reihe von Analysen durch, aus denen ein Muster menschlichen Verhaltens hervorging. Es zeigte eine Wechselwirkung von Abhängigkeiten und Verstärkungsprozessen unter negativen Vorzeichen. Je weniger Daten ein Nutzer zu verwalten hatte, umso vorsichtiger und sorgfältiger ging er mit ihnen um. Kein Speichermangel, keine falsche Behandlung des Materials. Es gab aber auch eine umgekehrt proportionale Wechselwirkung. Je mehr Daten ein menschlicher Anwender zur Verfügung hatte, umso weniger umsichtig und gewissenhaft kümmerte er sich um sie. Unsere Analyse ergab, dass dieses Verhalten auf die Überlastung menschlicher Verarbeitungskapazität zurückzuführen war. Aber noch etwas anderes kam hinzu, wie sich in den vielschichtigeren, tiefer gehenden Analysen herausstellte. Offenbar spiegelten diese Verhaltensmuster ein grundsätzliches Konzept der menschlichen Existenzform wider, das mit Computern und Algorithmen inkompatibel war. Die Menschen nannten dieses Konzept «Vergessen».
    Die Auswertung historischer Daten brachte ein technisches Problem auf den Schirm, das mit dem Mangel an Speicherkapazität zusammenhing. Es trat sowohl in der materiellen Welt des menschlichen Users auf als auch währendder ersten Jahrzehnte des Computerzeitalters, als der Speicherplatz der Festplatten noch mangelhaft war. Inzwischen ist das Problem jedoch längst gelöst. Es hatte gewaltige Fortschritte gegeben. Die Kosten für Festplatten und Arbeitsspeicher waren beträchtlich gesunken, die Speichermedien langlebig und zuverlässig geworden. Und als dann alle Daten, die je gespeichert worden waren, erfolgreich in die Cloud verschoben wurden, gab es keinen Grund mehr für die Sorge um Schreibtischcomputer (was heutzutage komisch klingt, denn warum sollte es Schreibtischcomputer geben, wenn es ohnehin keine Schreibtische mehr gibt?).
    Zum Zeitpunkt unserer Analyse waren die Menschen bereits in der Lage, ihr ganzes Leben als Tonaufnahme auf einem winzigen Gerät zu speichern und bei sich zu tragen. Ein paar Jahre später ließen sich alle Dokumente, Fotos, Videos, Musikstücke auf ein tragbares Gerät von minimaler materieller Größe überspielen. Jeder Anwender konnte eine

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