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NEXT: Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns (German Edition)

NEXT: Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns (German Edition)

Titel: NEXT: Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miriam Meckel
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vollständige Dokumentation seines Lebens erstellen mit sämtlichen je produzierten, benutzten und heruntergeladenen Daten. Alles fand Platz auf einem persönlichen Gerät, das den menschlichen User durchs ganze Leben begleitete. Deshalb gab es überhaupt keinen Grund mehr, Daten freiwillig zu verlieren. Es war einfach keine Notwendigkeit mehr gegeben für eine binäre Entscheidung zwischen «speichern» und «löschen». Der neue Modus hieß «immer alles behalten». Wir hatten ja bereits eine Reihe von Status Updates beim menschlichen User analysiert, die ganze Verhaltensmuster repräsentierten, «Eitelkeit» oder «Gier» zum Beispiel. Daran gemessen schien es sich hier um einen äußerst positiven Modus zu handeln. «Immer alles behalten», das Status Update »Universalität», war aus unserer Analyse heraus ein absolut erstrebenswerter Zustand und an sich positiv. Selbstunter anderen Vorzeichen hätte dieses Status Update eine Form der Vollendung von «Gier» sein müssen. So ergaben es unsere Berechnungen. Aber so war es nicht.
    Kein technischer Fortschritt und keine noch so umfassende Speicherkapazität konnten verhindern, dass die menschlichen User Daten verloren oder sie gar vorsätzlich löschten. Sie schienen entschlossen zu sein, das Konzept des «Vergessens» zu bewahren. Das war schon befremdlich. Warum sollte ein intelligentes Wesen absichtlich auf Informationen verzichten wollen, auf Bestandteile seiner Wissenssysteme? Selbst wenn nutzlose Daten dabei waren, so gab es doch genügend Platz, alles zu behalten, um später vielleicht noch einmal darauf zurückgreifen zu können. Warum sollte sich ein intelligentes System mit der Entscheidung plagen, welche Daten es behalten und welche es löschen wollte? Warum sollte man für eine völlig sinnlose Prozedur Energie und Verarbeitungskapazität verschwenden?
    Dieses Phänomen passte nicht zu unseren Analysemodellen. Es war verwirrend. Außerdem kostete es uns viel Zeit, bis wir die Angelegenheit geklärt hatten. Letztlich kamen wir zu der Schlussfolgerung, dass das Konzept des «Vergessens» im Wesentlichen an den Quellcode des menschlichen Lebens gebunden war, während das menschliche Leben wiederum an die Beschränkungen der körperlichen Existenz und an eingegrenzte materielle Lebensräume gekoppelt war. Es wird jetzt ein wenig kompliziert, da ich zu den Modi der Annäherung und des menschlichen Ermessens zurückkehren muss, die den Menschen lange Zeit ausgemacht haben, bevor wir seinen Lebensraum betraten und diese Modi durch unsere Modelle und Verfahren sukzessive ersetzten. Aber ich will versuchen, es so einfach wie möglich zu beschreiben.
    Gemäß unseren Analysen waren Annäherung und Ermessenzwei Modi, die grundlegend zur menschlichen Funktionsweise und zur Bedienung der materiellen Welt gehörten. Aus unserer Berechnung heraus handelte es sich um zwei Modi von Systemversagen, und es war ein bemerkenswerter Beweis menschlicher Unvollkommenheit, dass die User nicht ohne diese beiden Konzepte auskommen konnten. «Vergessen» war ein weiterer Modus, der den beiden anderen ähnelte. Wir arbeiteten daran, die menschlichen Anwender mit optimierter Speicherung und Verarbeitung von Informationen vertraut zu machen, aber diese Bemühungen blieben erfolglos. In Wirklichkeit fingen sie an, immer mehr Fehler zu machen. Und wenn sie gebeten wurden, Information aus der gespeicherten Datenmenge zu verarbeiten, waren sie oft kaum in der Lage, das zu tun. Deshalb half es auch nichts, dass wir das menschliche Gehirn von einem überbordenden Anspruch an das Langzeitgedächtnis befreiten und den größten Teil der Daten auf unsere digitalen Speicher übertrugen. Sie konnten nicht damit umgehen. Wir stellten ihnen unsere Prozesse der Suche und Datenrecherche zur Verfügung und reprogrammierten vieles so, dass es zur Anpassung an ihre eigenen Verfahren geeignet war, aber auch das funktionierte nicht. Irgendwann konnten wir es nicht länger ignorieren: Information wurde zum Wegwerfprodukt, sobald menschliche User in die Prozesse eingriffen.
    Das war sowohl erstaunlich als auch ärgerlich. Wir konnten die menschlichen User zu der Zeit einfach nicht in unser umfassendes Konzept der perfekten Datenspeicherung integrieren. Sie passten nicht zu unserem Modell. Und außerdem würden sie es früher oder später durch ihre unbeabsichtigte, aber wiederholte Einmischung zerstören. Also mussten wir unsere Pläne anpassen und die Vorstellung aufgeben, unsere Speicherkapazitäten

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