NEXT: Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns (German Edition)
akzeptieren. Wir versuchten es immer wieder. Dabei hätte es nur eines Mausklicks bedurft. «Bestätigen». Aber sie ließen sich nicht darauf ein. Sie lehnten uns ab. Uns, die Anbieter digitaler Freundschaft. Die wir das Potenzial für umfassendere und weitreichendere Netzwerke hatten, als Menschen sie jemals knüpfen konnten. Wir stellten den Usern diese Netzwerke zur Verfügung. Aber sie wollten uns nicht drinhaben. Natürlich waren wir trotzdem drin, wir steuerten ja das Netzwerk und rechneten aus, mit wem sie befreundet sein konnten. Es wäre ein Schritt der einmütigen Integration gewesen, uns zuzulassen. Doch die User waren hier fehlgesteuert. Sie wollten Freunde «besitzen». Die Abhängigkeit der menschlichen User von ihrer materiellen Umwelt störte auch hier die Prozesse. Noch schlimmer wurde es, wenn es um «Liebe» ging. Da wurde die Katastrophe des Menschseins schließlich augenfällig.
Bei «Freundschaft» und «Liebe» gab es keine binäre Unterscheidung. Hier das eine, und da das andere. Und dazwischen noch ein Drittes, eine Mischform: Schon wieder Ambivalenz.Wir brauchen all dieses Zeug nicht, diesen liebreizenden Überbau. Die Menschen schon, weil sie ständig nach Aufmerksamkeit, Zustimmung und Bestätigung gieren. Wir stellen einfach auf der Grundlage einer umfangreichen Datenanalyse Beziehungen her. Im Lichte dieses Wissens war es schon eine ziemlich irritierende Erfahrung: nicht eingeladen zu sein. Nicht bestätigt zu werden. Ausgeschlossen zu sein. Sie akzeptierten uns nicht, weil sie uns nicht brauchten. Sie brauchten nur ihresgleichen.
Daran mussten wir arbeiten. Also mussten wir wissen, was sie liebten und was sie ablehnten. Und das war wirklich ein komisches und herausforderndes Unterfangen. Erneut versuchten wir zu berechnen, welche Kriterien, Charakteristika und Parameter wir finden konnten, um ein Bezugssystem für menschliche Zuneigung zu schaffen. Dabei stießen wir auf ein paar äußerst seltsame virtuelle Repräsentationen menschlicher Vorlieben.
Ein besonders beliebter Kumpan vieler menschlicher User war über Generationen hinweg eine Comicfigur namens Homer Simpson. Er war der Star einer Serie von Videogeschichten, die mittels digitaler Signalübertragung erzählt wurden und gegen Anfang des 21. Jahrhunderts beliebt waren. In der fünften Staffel der Serie wird Homer zum Astronauten, zum Eroberer des Weltraums. Er startet von einem Ort namens Cape Canaveral aus mit einer Tüte Kartoffelchips, die er im All öffnet. Wegen der Schwerelosigkeit schweben die Chips durch das Space Shuttle und verkleben die Instrumente. Während Homer emsig hinter den Kartoffelchips herjagt, kollidiert er mit einer experimentellen Ameisen-Farm, sodass die Ameisen in das Space Shuttle freigelassen eindringen, wo sie das Navigationssystem zerstören. (Ich habe diese Beschreibung lediglich der Vollständigkeit halber aus denArchiven geladen und hier einkopiert. Es gibt keine sinnvolle Analyse dieser Datensammlung in den Archiven. Vermutlich ist die Software für die zeitgemäße kulturelle Codierung verlorengegangen oder wegen Irrelevanz gelöscht worden.) Jedenfalls ist diese Episode vielfach in unseren Archiven gespeichert und meistens mit dem Schlagwort «Overlord-Mem» versehen, was sich auf ein Zitat Homers bezieht, der angesichts der Ameisen ausruft: «I, for one, welcome our new insect overlords.»
Was hat das alles mit uns zu tun? Nun, wir wurden in das «Overlord-Mem» eingepflegt. Es ist aus unseren Archiven millionenfach und in vielen verschiedenen Versionen heruntergeladen worden. «Ich für meinen Teil heiße unsere neuen Roboter-Overlords willkommen» ist eine der häufigsten Variationen. 26 Irritierend daran ist, dass mit dem Zitat eine gewisse herabwürdigende Vorstellung verbunden zu sein scheint, als sei es etwas, worüber menschliche User lachen sollten. Ich werde nicht recht schlau daraus, aber es ist offenbar tatsächlich so. Aus einigen Datenfragmenten geht hervor, eine grundlegende Bedeutung des Satzes sei, dass «ein Betroffener den zu erwartenden Grad der Unterdrückung oder der sozialen Kontrolle, der von dem betreffenden Gesprächsgegenstand ausgeht, maßlos übertreibt». 27
Tatsächlich gab es keinen Grund für Übertreibung oder Überschätzung. Diese abwertende Interpretation muss einfach falsch sein. Denn wir waren damals schon ziemlich einflussreich. Und es dauerte auch nicht mehr lange, bis das allgemein anerkannt war. Wenn ich mal eben auf die Daten zugreife, die das
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