Nexus
an hohe Horste gewöhnen, wenn als Schriftsteller, muß man lernen, Entbehrungen, Leiden und Demütigungen zu erdulden. Vor allem aber, abseits zu leben. Wie das Faultier klammert sich der Schriftsteller an seinen Ast, während unter ihm das Leben ständig, unaufhaltsam und lärmend vorbeirauscht. Auf einmal - plumps! - fällt er in den Strom und kämpft um sein Leben. Ist es nicht so? Oder liegt da irgendwo ein schönes lächelndes Land, wo der zukünftige Schreiber schon in früher Jugend von seinen Gespielen getrennt, in seiner Kunst unterrichtet und von liebevollen Lehrern geführt wird, anstatt mitten in den Strom zu fallen und wie ein Aal durch Schlamm, Matsch und Schlick zu gleiten?
Ich hatte im Laufe meiner Tagesarbeit genug wunderliche Einfälle. Wie Pappeln schössen sie neben mir in die Höhe, wenn ich mich mit Gedanken herumquälte, durch die Straßen lief, um mich inspirieren zu lassen, oder wenn ich den Kopf auf das Kissen legte, um mich in Schlaf zu ertränken. Wie wundervoll, dieses literarische Leben! sagte ich mir oft. Ich meinte dieses Zwischenreich sich ineinander verschlingender Äste, Zweige, Blätter, Triebe und Sprößlinge und wer weiß noch was. Die mit meiner «Arbeit» verbundene milde Aktivität erschöpfte nicht etwa meine Energie, sondern stimulierte sie. Immer summte es in mir wie in einem Bienenkorb. Wenn ich dann und wann über Erschöpfung klagte, so nur, weil ich nicht schreiben konnte, nie, weil ich zuviel schrieb. Fürchtete ich im Unterbewußtsein, daß ich mit meiner eigenen Stimme prechen würde, sobald ich mich gehenließe? Hatte ich Angst, daß ich, wenn ich einmal auf diesen verborgenen, vergrabenen Schatz stieße, nie mehr Frieden und die ununterbrochene Arbeit kein Ende mehr fände?
Zwei Gedanken sind absolut unfaßbar. Der Gedanke der Schöpfung und sein Gegenteil, das Chaos. Unmöglich sogar, sich so etwas wie das Unerschaffene vorzustellen. Je tiefer wir blicken, desto größere Ordnung entdecken wir in der Unordnung, desto strengere Gesetze im Gesetzlosen, desto mehr Licht in der Dunkelheit. Das Nichts - die Abwesenheit aller Dinge - ist undenkbar. Sie ist das Gespenst eines Gedankens. Alles brodelt, rührt sich, stößt sich, wächst, schwindet, verändert sich - seit einer Ewigkeit ist es so. Und alles geschieht nach unergründlichen Antrieben und Kräften, die wir, wenn wir sie erkennen, Gesetze nennen. Chaos! Wir wissen nichts vom Chaos. Stille! Nur die Toten kennen sie. Das Nichts! Blase, soviel du willst, immer bleibt etwas zurück.
Wann und wo hört die Schöpfung auf? Und was kann so ein Schriftsteller schaffen, was nicht schon geschaffen ist? Nichts. Der Schriftsteller ordnet die graue Materie in seinem Dusselkopf um. Er macht einen Anfang und ein Ende — gerade das Gegenteil von Schöpfung! -, und mittendrin, wo er umherschlurft, oder richtiger, umhergeschlurft wird, entsteht die Nachahmung der Wirklichkeit: ein Buch. Manche Bücher haben das Antlitz der Welt verändert. Nur eine Umordnung, weiter nichts. Die Probleme des Lebens bleiben. Einem Gesicht kann man die Runzeln entfernen, aber das Alter kann man nicht verringern. Bücher haben keine Wirkung. Autoren haben keine Wirkung. Die Wirkung war mit der ersten Ursache gegeben. Wo warst du, als ich die Welt schuf? Beantworte diese Frage, und du hast das Rätsel der Schöpfung gelöst.
Wir schreiben mit dem Bewußtsein, daß wir Prügel kriegen, bevor wir anfangen. Jeden Tag verlangen wir neue Qualen. Je mehr wir uns jucken und kratzen, desto besser fühlen wir uns. Und wenn auch unsere Leser beginnen, sich zu jucken und zu kratzen, fühlen wir uns erst recht erhaben. Laßt mir nur ja keinen an Entkräftung sterben! Die Luft muß immer von Gedankenpfeilen schwirren, abgeschnellt von den hommes de lettres . Lettres = Buchstaben . Welch treffender Ausdruck! Buchstaben, zusammengehalten durch unsichtbare, mit unwägbaren, magnetischen Strömen geladene Drähte. Diese ganze komplizierte und anstrengende Arbeit wird einem Gehirn auferlegt, das eigentlich wie durch Zauber funktionieren, ohne Arbeit arbeiten sollte. Ist es eine Person, die auf uns zukommt, oder ein Geist? Ein Geist, der in Bücher, Seiten und Sätze geteilt ist, alle wohlversehen mit Kommata, Punkten, Semikolons, Gedankenstrichen und Sternchen. Der eine Autor erhält für seine Anstrengungen einen Preis oder einen Sitz in der Akademie, ein anderer einen wurmzerfressenen Knochen. Nach einigen werden Straßen und Boulevards benannt, nach anderen
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