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Nexus

Nexus

Titel: Nexus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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sorge aber dafür, daß sie das Leuchten der Milchstraße widerspiegeln. Wenn man einen Idioten sprechen läßt, so vermische man sein Kauderwelsch mit aufgeblasenen Anspielungen auf wissenschaftliche Disziplinen, Paläontologie, quadratische Gleichungen oder die Abstammung der Hyperboräer. Ein Ausspruch irgendeines wahnsinnigen Cäsars war immer am Platze. Oder ein Fluch von den Lippen eines skrofulösen Zwerges. Oder einfach eine so hinterlistige Hamsunsche Wendung wie: «Sollen wir spazieren gehen, Froken? Die Primeln sterben vor Durst.» Hinterlistig, sagte ich, weil hier, wenn auch weit hergeholt, auf Frakens Gewohnheit angespielt wird, ihre Beine zu spreizen, wenn sie sich draußen unbeobachtet fühlt, und Wasser zu lassen.
    Die Spaziergänge, die ich zur Erholung oder zur Förderung einer neuen Inspiration unternahm - oft auch nur, um die Hoden zu lüften —, hatten auf das im Entstehen begriffene Werk eine störende Wirkung. Wenn ich in einem Winkel von sechzig Grad um eine Ecke bog, konnte es sein, daß ein Gespräch mit einem Lokomotivführer oder einem arbeitslosen Mörtelträger, das ich erst vor ein paar Minuten geführt hatte, plötzlich zu einem Dialog von solcher Länge und Extravaganz aufblühte, daß ich bei der Rückkehr an meinen Schreibtisch nur mit Mühe den Faden der Erzählung wiederaufnehmen konnte. Zu jedem Gedanken, der mir in den Kopf kam, machte der Mörtelträger oder wer es sonst war seine Bemerkungen. Es war, als hätten sich diese unwichtigen Schwatzbrüder verschworen, mich aus dem Geleise zu bringen.
    Gelegentlich passierte mir diese selbe Art Teufelei auch bei Statuen, besonders wenn sie zerbrochen oder abmontiert waren. Ich stand vielleicht auf einem Hof und schaute gedankenverloren auf einen Marmorkopf, dem ein Ohr fehlte - und siehe da, schon sprach er mit mir . . . sprach mit mir in der Sprache eines Prokonsuls! Eine sonderbare Laune trieb mich vielleicht an, seine verwitterten Züge zu streicheln, worauf er, als hätte ihn die Berührung meiner Hand zum Leben erweckt, mich anlächelte. Aus Dankbarkeit natürlich. Dann konnte noch etwas Seltsameres passieren. Wenn ich eine Stunde später an dem Spiegelglasfenster eines leeren Ladens vorbeikam, grüßte mich aus der dunklen Tiefe derselbe Prokonsul. Erschrocken drückte ich die Nase gegen die Scheibe und starrte hinein. Ja, da war er — mit fehlendem Ohr und abgebissener Nase. Und seine Lippen bewegten sich! «Eine Netzhautblutung», sagte ich mir und ging weiter. «Gott stehe mir bei, wenn er mich im Schlaf besucht!»
    So bekam ich mit der Zeit, was nicht so sonderbar war, das Auge eines Malers. Oft kehrte ich an einen bestimmten Platz zurück, um mir noch einmal ein «Stilleben» anzuschauen, an dem ich tags zuvor oder vor drei Tagen zu eilig vorübergegangen war. Das Stilleben, wie ich es nenne, konnte eine kunstlose Anordnung von Gegenständen sein, die kein Mensch mit gesundem Verstand sich zweimal angesehen hätte. Zum Beispiel: ein paar Spielkarten lagen mit nach oben gekehrtem Bild auf dem Bürgersteig und daneben eine Kinderpistole oder der Kopf eines geschlachteten Huhns. Oder ein in Fetzen gerissener Sonnenschirm ragte aus einem Holzhackerstiefel, und daneben lag ein zerschlissenes, von einem rostigen Klappmesser durchstoßenes Exemplar des Goldenen Esels . Ich fragte mich, was mich denn an diesen zufällig nebeneinanderliegenden Gegenständen so faszinierte, und da dämmerte mir plötzlich, daß ich ähnliche Anordnungen in der Malerei gesehen hatte. Dann plagte ich mich oft eine ganze Nacht damit, herauszubekommen, welches Bild das war und von welchem Maler es stammte und wo ich es zuerst gesehen hatte. Außerordentlich, wenn man bei der Verfolgung solcher Chimären entdeckt, was für erstaunlichen Nebensächlichkeiten, ja welch glattem Irrsinn die größten Meisterwerke der Kunst ihre Entstehung verdanken.
    Was jedoch diese Streif-, Fouragierungs- und Rekognoszierungszüge zu einem Panorama ausweitet, war die Entdeckung der menschlichen Gebärden. Sie waren alle der Tier- und besonders der Insektenwelt entliehen. Selbst die der «feineren» oder pseudofeinen Individuen wie Leichenbestatter, Lakaien, Verkünder des Evangeliums und Haushofmeister. Die Art, wie irgendein überraschter Niemand den Kopf zurückwarf und wieherte, haftete noch im Gedächtnis, wenn ich längst seine Worte und Taten vergessen hatte. Es gab Romanschreiber, die eine Spezialität daraus machten, solche Eigenheiten auszubeuten, die ihre

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