Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nexus

Nexus

Titel: Nexus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
Vom Netzwerk:
Zuflucht zu dem Wiehern eines Pferdes nahmen, wenn sie den Leser an eine Person erinnern wollten, die sie sechzig Seiten vorher erwähnt hatten. Meister ihres Handwerks wurden sie von den Kritikern genannt. Handwerker waren sie sicherlich.
    Ja, in meiner stolperigen Weise und umständlichen Art machte ich eine Menge Entdeckungen. Eine von ihnen war, daß man seine Persönlichkeit nicht unter der Hülle der dritten Person verstecken und sie auch nicht einfach durch den Gebrauch der ersten Person Einzahl deutlich machen kann. Eine andere, daß man sich nicht vor einer leeren Seite dem Denken hingeben kann. Ce n'est pas moi, le roi, c'est l'automne . Mit anderen Worten: nicht ich, sondern der Vater in mir.
    Es war eine eigene Disziplin, die Worte zum Fließen zu bringen, ohne sie mit einer Feder zu fächeln oder ihnen mit einem silbernen Löffel auf die Beine zu helfen. Man muß lernen zu warten, geduldig zu warten wie ein Raubvogel, selbst wenn die Fliegen wie verrückt stachen und die Vögel wie irrsinnig zwitscherten. Vor Abraham . .. ja vor dem olympischen Goethe, dem großen Shakespeare, dem göttlichen Dante oder dem unsterblichen Homer war die Stimme , und die Stimme war bei jedem Menschen. Dem Menschen haben die Worte nie gefehlt. Schwierigkeiten gab es erst dann, als der Mensch die Worte nach seinem Willen formen wollte. Sei still und warte auf das Kommen des Herrn! Lösche alles Denken aus, beobachte die stille Bewegung des Himmels! Alles ist Fluß und Bewegung, Licht und Schatten. Was ist stiller als ein Spiegel - die gefrorene Glasigkeit des Glases, doch welche Raserei, welche Wut kann aus seiner stillen Oberfläche hervorquellen!
    «Ich wünsche, daß Sie gütigst die Arbeiter des Gartenbauamts veranlassen, die Äste und Zweige der Bäume in einer Entfernung von vier bis fünf Metern über den Gehwegen, Steinplattenwegen, Spielplätzen und so weiter zu stutzen und auszulichten, damit sie nicht niederhängen, wie es viele jetzt tun, und ihnen dadurch hinreichend Höhe zu geben, daß man bequem unter ihnen hergehen kann . . . und zwischen den Ästen und Zweigen der einzelnen Bäume einen genügend großen Zwischenraum zu schaffen, damit die Äste und Zweige nicht vorstehen, übereinanderhängen, aufeinander aufliegen, sich kreuzen, sich verschlingen, sich aneinander reiben oder mit den neben ihnen stehenden Bäumen in Berührung kommen, und ihnen so mehr Licht, natürlicheres Licht, mehr Luft, mehr Schönheit zu geben und den Fußgängern, den Durchgangsstraßen und ihrer näheren und weiteren Umgebung in allen Teilen von Qeen's County, New York, sehr viel mehr Sicherheit gewähren...»
    Das war etwa die Botschaft, die ich gern ab und zu dem Gott des Literaturreiches geschickt hätte, damit ich von inneren Nöten befreit, aus dem Chaos gerettet, von quälender Bewunderung lebender und toter Autoren befreit würde, deren Worte, Aussprüche und Bilder mir den Weg versperrten.
    Und warum liefen meine eigenen einzigartigen Gedanken nicht über und überfluteten die Seiten? Manches Jahr war ich jetzt wie eine Lagerhausratte hin und her getrippelt, hatte dies und jenes von meinen geliebten Meistern entwendet, meine geheimen Schätze versteckt, vergessen, wo ich sie aufgestapelt hatte, und immer nach weiteren gesucht. In einem tiefen, vergessenen Loch waren alle Gedanken und Erfahrungen vergraben, die ich mit Recht meine eigenen nennen konnte, die sicher einzigartig waren, zu deren Wiederbelebung mir aber der Mut fehlte. Hatte mich jemand verhext, daß ich mit arthritisch verkrümmten Handstümpfen arbeitete, anstatt mit zwei kühn zupackenden Fäusten? Hatte jemand, während ich schrieb, an meinem Bett gestanden und geflüstert: «Du wirst das nie fertigbringen - nie fertigbringen»? (Sicher nicht Stanley, denn er würde es unter seiner Würde halten zu flüstern. Konnte er nicht zischen wie eine Schlange?) Wer denn? Oder war ich vielleicht noch im Verpuppungsstadium, ein Wurm, der noch nicht genügend von dem Glanz und der Großartigkeit des Lebens berauscht war?
    Wie weiß man, daß er eines Tages Flügel bekommen, daß er wie der Kolibri zwischen Boden und Baumkrone schwirren und mit seiner schillernden Farbenpracht die Augen blenden wird? Man weiß es nicht. Man hofft, betet und stößt den Kopf gegen die Wand. Aber «es» weiß es. «Es» kann die Zeit abwarten. Es kennt alle Irrtümer; alle Umwege, alle Fehler und Mißerfolge werden in Rechnung gestellt. Wenn man als Adler geboren werden will, muß man sich

Weitere Kostenlose Bücher