Nexus
planen. Ich habe nur noch das Ziel, weit über die Grenzen zu kommen und ganz von vorn anzufangen. Womit, das weiß ich nicht. Sicher nicht als Rechtsanwalt. Ich will allein sein und sowenig arbeiten wie möglich.»
Er holte Atem. Ich machte keine Bemerkung. Er erwartete auch keine.
«Um ganz offen mit Ihnen zu sein, mir ist der Gedanke gekommen, ob ich Sie wohl dazu bringen könnte, mit mir zu gehen. Ich würde für Sie sorgen, solange das Geld reicht, das versteht sich von selbst. Ich habe mir das ausgedacht, während wir hierherfuhren. Den Zettel, den Belle geschrieben hat, habe ich ihr diktiert. Glauben Sie mir bitte, als wir losfuhren, habe ich noch nicht an diese Möglichkeit gedacht, aber im Laufe unseres Gesprächs bekam ich das Gefühl, Sie wären, wenn ich den Sprung machte, gerade die Person, die ich bei mir haben möchte.»
Er zögerte eine Weile und fügte dann hinzu: «Was ich mit meiner Frau vorhabe, mußte ich Ihnen sagen, weil... man nicht mit einem Menschen zusammenleben kann, wenn man ein solches Geheimnis mit sich herumschleppt, das wäre eine zu große Anstrengung.»
«Aber ich habe auch eine Frau!» rief ich aus, was mich selbst überraschte. «Obschon ich nicht viel mit ihr anfangen kann, könnte ich mich doch nicht dazu verstehen, sie sitzenzulassen oder gar umzubringen, nur um mit Ihnen irgendwohin auszureißen.»
«Ich verstehe», sagte Stymer ruhig. «Auch daran habe ich gedacht.»
«So?»
«Ich könnte Ihnen leicht ein Scheidungsurteil verschaffen, ohne daß Sie Unterhaltsbeiträge zahlen müßten. Was sagen Sie dazu?»
«Interessiert mich nicht», erwiderte ich. «Nicht einmal, wenn Sie mir eine andere Frau verschaffen könnten. Ich habe meine eigenen Pläne.»
«Sie halten mich sicher für übergeschnappt, wie?»
«Nein, durchaus nicht. Übergeschnappt sind Sie allerdings, aber nicht in dem Sinne. Ich will offen mit Ihnen sein, Sie sind nicht gerade der Mensch, mit dem ich lange zusammen sein möchte. Übrigens ist auch alles viel zu unbestimmt. Es ähnelt alles mehr einem bösen Traum.»
Er nahm das mit seiner üblichen unerschütterlichen Ruhe auf. Da fühlte ich mich gezwungen, noch etwas mehr zu sagen, und fragte ihn, was er denn von mir erwartete, was er sich von einem solchen Zusammensein erhoffte. Ich hatte natürlich nicht die leiseste Befürchtung, ich könnte mich auf ein so verrücktes Abenteuer einlassen, ich hielt es nur für anständig, so zu tun, als nähme ich seinen Vorschlag ernst. Übrigens war ich wirklich neugierig darauf, welche Rolle er mir zugedacht hatte.
«Wo soll man da am besten anfangen?» meinte er schleppend. «Angenommen - nur angenommen, sage ich - wir fänden ein gutes Versteck. Sagen wir Costa Rica oder Nicaragua, wo das Leben leicht und das Klima angenehm ist. Und Sie fänden ein Mädchen nach Ihrem Geschmack . . . sich das vorzustellen, kann doch nicht zu schwer sein, nicht wahr? Gut also ... Sie haben mir erzählt, daß Sie eines Tages schreiben möchten. Das ist doch Ihre Absicht, nicht wahr? Ich weiß, daß ich das nicht kann . Aber ich habe Ideen - Ideen in Hülle und Fülle, das können Sie mir glauben. Ich habe nicht umsonst Verbrecher verteidigt. Und Sie - Sie haben auch nicht umsonst Dostojewski und all die anderen verrückten Russen gelesen. Merken Sie jetzt, worauf ich hinaus will? Jetzt mal aufgepaßt! Dostojewski ist tot - erledigt. Und da fangen wir an. Von Dostojewski gehen wir aus. Er hat sich mit der Seele beschäftigt, wir beschäftigen uns mit dem Geist.»
Er wollte wieder eine Pause einlegen. «Weiter», sagte ich, «jetzt wird die Sache interessant.»
«Nun», nahm er den Faden wieder auf, «ob Sie das wissen oder nicht, in der Welt ist nichts mehr übriggeblieben, was man Seele nennen könnte. Das erklärt zum Teil, warum Sie es so schwer finden, mit dem Schreiben zu beginnen. Wie kann man über Menschen schreiben, die keine Seelen haben? Ich kann es aber. Ich habe mit eben diesen Leuten gelebt, für sie gearbeitet, sie studiert und analysiert. Ich meine nicht meine Klienten allein. Sich Verbrecher als seelenlos vorzustellen, ist nicht schwer. Was aber, wenn ich Ihnen sage, daß es überall, wohin Sie auch blicken, nur Verbrecher gibt? Man braucht kein Verbrechen begangen zu haben, um ein Verbrecher zu sein. Aber jedenfalls - dies hatte ich im Sinn ... ich weiß, Sie können schreiben. Dazu macht es mir nichts aus, wenn ein anderer meine Bücher schreibt. Wenn Sie das Material herbeischaffen wollten, das ich
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