Nexus
der das ganze Universum durchdringt. Dostojewski hatte, woran ich Sie erinnern darf, eine erstaunliche Einsicht nicht nur in die Seele des Menschen, sondern auch in das geistige Wesen des Weltalls. Darum kann man ihn unmöglich abschütteln, obgleich seine Weltanschauung, wie ich schon sagte, für uns nicht mehr gilt.»
Hier mußte ich ihn unterbrechen. «Entschuldigen Sie», sagte ich, «aber welche Weltanschauung hatte Dostojewski denn nach Ihrer Meinung?»
«Darauf kann ich in wenigen Worten keine Antwort geben. Das vermag niemand. Er gab uns eine Offenbarung, und jedem von uns obliegt es, aus ihr das für ihn Zutreffende zu entnehmen. Einige verlieren sich in Christus. Man kann sich auch in Dostojewski verlieren. Er führt einen an das Ende des Weges. Gibt das einen Sinn für Sie?»
«Ja und nein.»
«Für mich», fuhr Stymer fort, «bedeutet es, daß es heute keine Möglichkeiten mehr gibt, wie sich die Menschen einbilden. Es bedeutet, daß wir gänzlich irregehen - in allem und jedem. Dostojewski hat das Feld weit im voraus durchforscht, und überall fand er den Weg blockiert. Er war ein Pionier im tiefen Sinn des Wortes. Er nahm eine Stellung nach der anderen, gerade dort, wo es gefährlich war, aber ein Weiterkommen möglich schien, und er fand, daß es für uns in unserem jetzigen Zustand keinen Ausweg gab. Schließlich nahm er seine Zuflucht zu einem höchsten Wesen.»
«Das ist nicht ganz der Dostojewski, wie ich ihn kenne. Was Sie da sagen, klingt hoffnungslos.»
«Nein, hoffnungslos ist es durchaus nicht. Es ist realistisch — in einem übermenschlichen Sinne. Am wenigsten kann Dostojewski an ein Jenseits geglaubt haben, wie die Geistlichkeit es uns schildert. Alle Religionen geben uns eine verzuckerte Pille zu schlucken. Sie wollen uns eingeben, was wir nie schlucken können oder wollen - den Tod . Der Mensch wird nie die Idee des Todes billigen und sich nie mit ihr abfinden . . . Aber ich komme vom Wege ab. Sie sprechen vom Schicksal des Menschen. Dostojewski verstand besser als sonst jemand, daß der Mensch nie das Leben fraglos hinnehmen wird, bis ihm die Vernichtung droht. Es war sein Glaube, seine tiefe Überzeugung, möchte ich sagen, daß der Mensch ein immerwährendes Leben haben kann, wenn er es von ganzem Herzen und mit seinem ganzen Wesen wünscht. Es gibt keinen Grund, warum man sterben müßte, gar keinen. Wir sterben, weil uns der Glaube an das Leben fehlt, weil wir uns nicht dem Leben ganz in die Arme werfen . . . Und das führt mich zur Gegenwart, zu dem Leben, wie wir es heute kennen. Ist es nicht offenbar, daß unsere ganze Lebensweise eine Hingabe an den Tod ist? In unseren verzweifelten Bemühungen, uns zu erhalten - zu erhalten, was wir geschaffen haben —, führen wir unseren Tod herbei. Wir geben uns nicht dem Leben hin, wir kämpfen, um dem Tod zu entgehen. Das heißt nicht, daß wir den Glauben an Gott, sondern den Glauben an das Leben verloren haben. Gefährlich leben, wie Nietzsche es ausdrückt, heißt, nackt und ohne Scham leben. Es heißt, unser Vertrauen auf die Lebenskraft setzen und aufhören uns herumzuschlagen mit einem Phantom, genannt Tod, mit dem Phantom Krankheit, dem Phantom Sünde, dem Phantom Furcht und so fort. Die Phantomivelt! Das ist die Welt, die wir uns geschaffen haben. Denken Sie an das Militär mit seinem ewigen Gerede vom Feind. Denken Sie an die Geistlichkeit mit ihrem ewigen Gerede von Sünde und Verdammung. Denken Sie an die Sippschaft der Juristen mit ihrem ewigen Gerede von Geld- und Gefängnisstrafen. Denken Sie an die Ärzteschaft mit ihrem ewigen Gerede von Krankheit und Tod. Und an unsere Erzieher, die größten aller Dummköpfe, mit ihrem papageiähnlichen Geplapper und ihrem angeborenen Unvermögen, irgendeine Idee anzunehmen, außer wenn sie hundert oder tausend Jahre alt ist. Was aber die Leute anbetrifft, welche die Welt regieren - das sind die unehrlichsten, die unentwegtesten Heuchler, die größten Illusionisten und die einfallslosesten Tröpfe, die man sich denken kann. Sie sagen, Sie seien über das Schicksal des Menschen besorgt. Es ist ein Wunder, daß der Mensch sogar die Illusion der Freiheit ausgehalten hat. Nein, der Weg ist blockiert, wohin Sie sich auch wenden. Jede Mauer, jede Barriere, jedes Hindernis, das uns aufhält, haben wir selbst geschaffen. Es ist nicht nötig, Gott, den Teufel oder den Zufall zu bemühen. Der Herr der Schöpfung macht ein Schläfchen, während wir die von ihm aufgegebenen Rätsel zu lösen
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