Nexus
ein Unterschied zwischen den aus reiner Verzweiflung entstandenen Gebeten, wenn ich ihn um Erbarmen - um Erbarmen, nicht um Gnade! - anrief -, und den unbeschwerten, aus demütigem Verstehen geborenen Wechselgesprächen! Sonderbar, daß ich von dieser irdisch-himmlischen Unterhaltung spreche, nicht wahr?
Sie fand am häufigsten statt, wenn ich guten Mutes war, während doch - und das ist zu beachten! - wenig Grund zur Zuversicht vorlag. Es mag widerspruchsvoll klingen, aber mein Geist erhob sich oft dann in lichte Höhen, wenn mich die Grausamkeit des Menschenschicksals wie ein Keulenhieb traf, wenn mir wie ein sich durch den Schlamm ringelnder Wurm der vielleicht verrückte Gedanke kam, daß das Niedrigste mit dem Höchsten verknüpft war. Hatte man uns nicht, als wir jung waren, gesagt, daß kein Sperling ohne Gottes Willen vom Dach fiel? Wenn ich das auch nicht ganz glaubte, so machte es trotzdem Eindruck auf mich. («Siehe, ich bin der Herr, der Gott allen Fleisches - gibt es etwas, das zu schwer für mich ist?») Verständlich oder unverständlich, es war ein Gedanke von großer Tragweite. Als kleiner Junge rief ich manchmal, wenn etwas Außerordentliches geschah: «Hast du's gesehen, Gott?» Wie wunderbar war doch der Gedanke, daß Er überall war - in Rufweite! Er war damals eine leibliche Gegenwart, keine metaphysische Abstraktion. .Sein Geist durchdrang alles. Er war gleichzeitig in allem und über allem. Und dann — und wenn ich darüber nachdachte, kam ein fast seraphisches Lächeln auf mein Gesicht - dann kamen Zeiten, wo man, um nicht glatt verrückt zu werden, die absurde, unverständliche Erscheinungswelt nur mit den Augen des Schöpfers anzuschauen brauchte, der für das alles verantwortlich ist und es versteht .
Als ich die Tasten klappern ließ - ich war jetzt am Galoppieren —, hing der Gedanke an die Schöpfung, an das allsehende Auge, das allumfassende Mitleid, die Nähe und Ferne Gottes wie ein Schleier über mir. Was für ein Witz, einen Roman über «erfundene» Personen, «erfundene» Situationen zu schreiben! Hatte der Herr des Weltalls nicht alles erdacht? Was für eine Farce, den Herrn über diese erdichtete Welt zu spielen! Hatte ich deshalb den Allmächtigen gebeten, mir die Gabe der Worte zu verleihen?
Die absolute Lächerlichkeit meines Treibens brachte mich zum Halten. Warum hatte ich es so eilig, das Buch zum Abschluß zu bringen? In meinem Geist war es bereits fertig. Ich hatte die erfundene Handlung zu ihrem erfundenen Ende gebracht. Ich konnte einen Augenblick ausruhen, über meiner ameisengleichen Emsigkeit schweben und noch ein paar Haare weiß werden lassen. Ich fiel mit dem köstlichsten Gefühl der Erleichterung in das Vakuum (wo Gott alles ist) zurück. Ich konnte meine irdische Entwicklung klar erkennen, vom Larvenstadium bis zu meinem jetzigen Zustand und noch darüber hinaus. Worum ging der Kampf oder worauf lief er hinaus? Auf die Vereinigung mit allem? Was sonst konnte dies Verlangen, mich mitzuteilen, bedeuten? Jeden zu erreichen, hoch und niedrig, und eine Antwort zu erhalten -ein verheerender Gedanke! Ewig zu vibrieren wie die Weltlyra – eine ziemlich erschreckende Vorstellung, wenn man sie bis in die äußersten Konsequenzen zu Ende denkt.
Aber so meinte ich das wohl gar nicht. Vielleicht genügte es, Verbindungen mit seinesgleichen herzustellen, mit verwandten Geistern. Aber wer waren sie? Wo waren sie? Man konnte es nur erfahren, wenn man den Pfeil fliegen ließ.
Jetzt drängte sich mir ein Bild auf. Ein Bild der Welt als Netz magnetischer Kräfte. In diesem Netz hoben sich wie Kerne die glühenden Geister der Erde ab, um die sich die verschiedenen Stände der Menschheit wie Sternbilder drehten. Wegen der hierarchischen Verteilung von Kräften und Befähigungen herrschte eine erhabene Harmonie. Kein Mißklang war möglich. Alle Konflikte, alle Störungen, alle Wirrungen und Unregelmäßigkeiten, die ins Gleichgewicht zu bringen sich der Mensch vergeblich bemüht, waren bedeutungslos. Die Intelligenz, die das Weltall durchdrang, ließ sie nicht zu. Die mörderische, selbstmörderische, an Wahnsinn grenzende Betriebsamkeit irdischer Wesen, ja sogar ihre wohlmeinenden, ihre religiösen, ihre allzu menschlichen Betätigungen waren trügerisch. In dem magnetischen Netz fand nicht einmal eine Bewegung statt. Nichts, auf das man zuschreiten, nichts, von dem man sich zurückziehen, nichts, zu dem man hinaufstreben konnte. Das weite, endlose Kraftfeld war wie ein
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