Nibelungen 03 - Die Flammenfrau
Diese verstörte Gestalt dort oben war nicht der Schwertmeister Bruno von Falkenstein, dessen Künste weit über Worms hinaus gefürchtet waren. Das war nur noch ein müder, gebrochener Mann, dessen Geist sich verirrt hatte.
Endlich war diese durchdringende Stimme in seinem Kopf wieder verstummt. Bruno atmete auf. Wie sie an ihm gezerrt hatte. Unaufhörlich! Und immerzu hatte sie seinen Namen gerufen, als ob sie ihn verfolgen würde.
Aber jetzt war es, dem Himmel sei Dank, wieder still um ihn herum. Er wollte den frischen Duft des Waldes genießen. Ein Eichhörnchen, das vor ihm her über den Weg eilte und rasch an einem der nächsten Bäume in die Höhe lief, ließ ihn lächeln. Ihm gefielen diese putzigen kleinen Tierchen.
Ach, wie er diese Wälder rund um Worms liebte!
Bruno atmete tief ein. Es war dumm, dieser entsetzliche Schrei einer Frau hörte nicht auf, in seinem Kopf zu kreisen, wie ein Adler, der auf Beutesuche war. Er wollte, daß es endlich aufhörte, aber wie ein Echo kehrte es immer wieder. Der Adler und der Schrei!
Verrücktes Bild, dachte er, wie kam er ausgerechnet auf einen Adler, der auf Beutesuche war? Wahrscheinlich war es eher ein Bussard, oder es waren die Falken des Königs. Dankrat, richtig, der alte Rotbart war auf Jagd mit den Falken! Wie hatte er das vergessen können?
Nein, es war ein Adler, der da seine Schreie ausstieß. Bruno täuschte sich nicht. Es störte seine Ruhe!
Das Licht war so schön hier. Dieses sanfte Glitzern der Sonnenstrahlen, wenn sie durch die frischen, grünen Blätter fielen, wirkten so verspielt, als würden winzige Elfen mit kleinen Lichtern in der Hand einen fröhlichen Tanz aufführen. Er hätte eine Ewigkeit zuschauen mögen. Es war ein so leichter Tanz!
Der laue Frühlingswind strich ihm sachte über die Haut. Er spürte es genau. Ach, so hätte es bleiben können. Nur dieses Glitzern der Sonne und das frische Grün der Blätter.
Aber da war dieser Schrei! Er hallte immer noch in ihm nach, als hätte er sich in sein Gehirn eingefressen. Woran erinnerte er ihn bloß?
Vielleicht war eine Frau in Gefahr?
Bruno lächelte. Jetzt fiel es ihm wieder ein. Natürlich, das konnte nur Genovefa sein! Er hatte die Leute im Dorf davon reden hören, daß der dunkle Ritter Eberhard von Bronkhorst oben auf seiner Burg, unweit von Worms, ein zartes Weib gefangenhielt, das ihm zu Willen sein mußte. Armes Ding! Und schön sollte sie sein, sagten die Leute, einfach wunderschön!
Bruno verstand es nicht. Es gab doch viele tapfere Ritter rund um Worms. Warum hatte keiner von ihnen Herz genug, das Mädchen aus den Klauen dieses Barbaren zu befreien?
Bruno überlegte. Vielleicht sollte er diesem wilden Schurken einen Besuch abstatten und ihm das Weib abfordern. Aber die Leute im Dorf erzählten die finstersten Geschichten von dem Burgherrn. Jeden Reisenden, so wußte der Schankwirt zu berichten, würde der edle Herr aufs köstlichste bewirten, nur am Morgen, bei der Abreise, würden die Fremden mit Schimpf und Schande zum Tor hinausgeprügelt, daß die Armen oft tagelang nicht mehr sitzen konnten. Was für ein böser Narr war dieser Eberhard von Bronkhorst? Warum ließ er die Reisenden überhaupt ein, wenn ihm ihre Gesellschaft so wenig behagte, daß er sie am anderen Morgen hinausprügelte?
Bruno seufzte. Aber was war schon eine kleine Rauferei gegen die Heldentat, ein schönes Weib aus der Finsternis zu retten?
Entschlossen gab er seinem Fuchswallach die Sporen. Die Burg des Herrn von Bronkhorst lag oberhalb des Rheines. Er würde den Weg durch die Wälder einschlagen, dann konnte er noch an der alten Eiche vorbeireiten. Dieser Baum war sein Lieblingsbaum, als kleiner Junge war er oft dorthin gegangen.
Warum nur kreiste dieser verfluchte Adler durch seinen Kopf?
Es erinnerte ihn an etwas. Warum hatte er es vergessen? Aber wahrscheinlich war es nicht wichtig!
An der alten Eiche würde er sich dann links halten müssen, überlegte er. Die Frau hatte wirklich furchtbar geschrien. Vielleicht sollte er sich beeilen? Dann sollte er wohl besser auf den Weg reiten, der am schnellsten zur Burg des Herrn von Bronkhorst führte.
Irgendwo zwitscherte ein Vogel. Bruno lauschte. Nein, das war wirklich kein Adler, sondern irgendein Singvogel. Wie kam er bloß immer auf Adler? Jetzt galt es doch ein Frauenherz zu erobern!
Die Leute im Dorf sprachen immer wieder von der Schönheit des Mädchens. Genovefa sei ihr Name, und sie habe goldenes Engelshaar.
»Genovefa.«
Weitere Kostenlose Bücher