Nibelungen 03 - Die Flammenfrau
hatte sie noch nie gehört.
Der Junge schniefte kurz. Eine Träne rollte ihm über die Wangen. »Dann habe ich große Angst vor ihm.«
»Du hast Angst vor deinem Vater?« Das war ungeheuerlich! Brunhild wußte nicht recht, was ein Vater eigentlich war. Aber sie dachte, daß Jungen vielleicht von Männern unterrichtet wurden, so wie sie von Arma. Brunhild versuchte sich vorzustellen, wie es gewesen wäre, wenn sie vor Arma hätte Angst haben müssen. Ein gruseliger Gedanke. Sooft hatte sie sich nachts neben ihre Lehrmeisterin gekuschelt, hatte sich unter ihre Decke geschlichen und sich an den warmen Körper der Frau angelehnt. Arma hatte sie dabei stets in den Arm genommen, hatte sie liebevoll getröstet, wenn sie geweint hatte und ihr so viele schöne Dinge gezeigt. Nein, Brunhild konnte es sich nicht vorstellen, vor dieser Frau Angst zu haben. Das war zu schrecklich. Vorsichtig drückte sie Rabans Hand. Der Freund schien ein schweres Schicksal zu haben.
»Er hat böse Augen«, flüsterte der Junge. »Manchmal sieht er so wild aus, als ob er mich auffressen wollte! Aber dann geht er immer zu Antana und trinkt das Blut aus ihrer Brust.«
Brunhild schüttelte angewidert den Kopf. »Er trinkt Blut?«
»Ja, machen das die Großen bei euch nicht?«
Das Mädchen dachte einen Augenblick nach. »Nein, das habe ich noch nie gesehen!«
Zum ersten Mal in ihrem Leben wußte sie nicht mehr, was sie sagen sollte. Was Raban erzählte, war wirklich keine schöne Geschichte!
Sie fuhr mit den Händen in eine kleine Tasche, die an ihrem Gürtel hing. »Hier nimm!« Sie hielt dem Jungen einen schwarz glänzenden Stein hin. »Damit du nicht mehr traurig bist. Der Stein soll dir Glück bringen.«
Raban nahm den Stein vorsichtig in seine Hände. Lange schaute er ihn an. »Woher hast du ihn?«
»Ritter Faramund hat ihn mir geschenkt. Er hat gesagt, es sei ein geheimer Schatz, den er vor langer Zeit gefunden hat.«
»Wer ist Ritter Faramund?«
»Ritter Faramund und sein Freund Ritter Bruno sind zwei Männer, die nicht von hier sind. Sie kommen aus einem fernen Land.« Brunhild machte eine große Geste mit ihren Armen, um zu zeigen, von wie weit her die Männer wohl kamen. »Arma sagt, Ritter Bruno ist schwer krank, deshalb sind sie bei uns. Sie leben hier schon lange. Sie können nicht zaubern, aber manchmal erzählt Ritter Faramund lustige Geschichten.« Brunhild überlegte eine Weile. »Nur Ritter Bruno sagt nie etwas. Er schaut meistens auf das Meer hinaus. Manchmal gehe ich ihn besuchen, wenn er in seiner Höhle ist, aber er sagt nichts.«
»Das ist ein schöner Stein«, meinte Raban und fuhr mit den Händen über die glatte Fläche. Sie war warm und glänzte in dem sanften Mondlicht. Schnell steckte der Junge den Schatz in seine Hosentasche, bevor Brunhild es sich wieder anders überlegen konnte.
Brunhild lächelte. »Wenn du nicht mehr traurig bist, dann gehen wir fort. Jetzt gleich!« sagte sie entschlossen und stand auf. »Wir werden Arma suchen. Sie wird uns beiden helfen. Sie ist eine gute Frau.« Brunhild schaute sich vorsichtig um. »Mir ist etwas eingefallen. Heute nacht werden wir zwischen den Felsen weiter unten am Meer schlafen. Dort gibt es eine kleine Bucht, die Arma mir einmal gezeigt hat, als ich sehr traurig war. In der Bucht werden wir uns bis morgen verstecken, und dann holen wir uns ein Pferd von den Gwenyar. Wir müssen Arma finden!«
»Ein Pferd? Kannst du denn reiten?« Verlegen schaute Brunhild weg. Unmerklich schüttelte sie den Kopf. »Arma wollte es mir später beibringen.«
Insgeheim ärgerte sie sich, daß sie das Zauberwort wieder vergessen hatte, von dem die Priesterin unlängst gesprochen hatte. Mit diesem Wort ließen sich nämlich die Pferde der Gwenyar reiten, als sei man eins mit ihnen, als könne das Pferd die Gedanken des Reiters erraten.
»Sollen wir dann nicht besser zu Fuß gehen?«
»Unsinn. Mitten durch den Winter? Nach allem was ich gehört habe, muß er schrecklich sein, weil man immerzu kalte Füße hat. Ich mag keine kalten Füße.« Entschlossen wippte sie mit den Fingern wieder eine Locke nach hinten. Ihre dunklen Augen funkelten aufgeregt. »Komm jetzt. Wenn sie uns hier finden, ist alles umsonst gewesen.« Sie zog den Jungen hoch, und Hand in Hand verschwanden sie in der Dunkelheit.
14
angsam wanderte Mirka im Mondschein über die Hügel. Sie lenkte ihre Schritte hinunter zum Meer. Ein leichter Wind wehte von der See herüber, und es roch angenehm nach
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