Nibelungen 05 - Das Runenschwert
anzugreifen und sich um Siegfried zu winden. Endlich, mit letzter Kraft bekam er das Messer frei. Er wollte erneut zustoßen, doch die Schlange war schneller und schlang ihren kräftigen, langen Leib um seinen Körper. Drückte seine Arme so fest an ihn, daß er sie kaum noch bewegen konnte. Der Dolch, den er krampfhaft mit der Rechten umklammerte, schien vollkommen nutzlos.
Kehre um, Siegfried! Versprich, das Runenschwert nicht wieder zusammenzufügen!
»Nein!« schrie er und versuchte unter Aufbietung aller Kräfte, den rechten Arm mit dem Dolch freizubekommen. Allmählich verschwamm alles um ihn herum. Der schillernde See, der ungewöhnlich geformte Felsen und das Ufer mit Amke, deren Schreie er kaum mehr wahrnahm.
Ein kalter Hauch streifte ihn und weckte noch einmal seine erlahmenden Lebensgeister. Plötzlich schien der Druck um seinen Leib nachzulassen. Eine Einbildung, sagte er sich. Doch immer mehr belebende Luft strömte in seine Lungen.
Siegfried war frei!
Die Wasserschlange kämpfte – aber nicht länger gegen ihn. Ein Vogel hatte sich in ihren Leib verkrallt und riß mit seinem spitzen Schnabel immer neue Fleischfetzen heraus.
Es war der riesenhafte rote Falke!
Diese Erkenntnis ließ alle Furcht von Siegfried abfallen. Der Falke hatte ihm schon einmal geholfen. Er war für ihn fast wie ein Freund, ein Beschützer.
Woher das geheimnisvolle Tier kam, war in diesem Augenblick gleichgültig. Wichtig war nur, daß es auf Siegfrieds Seite stand. Gemeinsam hatten sie den einäugigen Wolf besiegt. Gemeinsam würden sie auch die einäugige Wasserschlange überwinden!
Siegfried steckte den Dolch in die Scheide und schwamm zum Ufer, wo ihm eine erleichterte Amke entgegenlief.
»Den Spieß!« keuchte er. »Schnell, wirf ihn mir zu!«
Sie verstand und schleuderte den Spieß ins Wasser. Siegfried ergriff ihn und schwamm zurück zu den beiden großen, heftig miteinander ringenden Tieren. Es sah so aus, als würde die Schlange die Oberhand gewinnen. Sie schlängelte sich um den Falken, um den Vogel unter Wasser zerren.
Siegfried erhob seinen Oberkörper aus dem Wasser, holte aus und schleuderte den Spieß. Der lederumwickelte Schaft mit der stählernen Spitze fuhr mitten in das Durcheinander aus dem peitschenden Schlangenleib, wild flatterndem Gefieder und aufspritzendem Wasser. Doch der Stahl fand sein Ziel. Tief drang er in das einzige Auge der Schlange. Verzweifelt wand sich die Bestie; ihr blieb keine Wahl, sie mußte den Falken loslassen.
Während der Raubvogel sich erneut in der Schlange verkrallte und auf sie einhackte, tauchte Siegfried auf die kämpfenden Tiere zu und zog seinen Dolch. Vor ihm schimmerte der schwarze Schlangenleib im Wasser. Dann stieß Siegfried mit der Klinge zu.
Die Kraft der Schlange erstarb, und sie sackte ganz unter Wasser. Reglos. Immer tiefer. Dabei schaukelte ihr geschundenes Haupt und drehte sich dem Xantener zu. Fast schien es Siegfried, als blicke ihn das tote oder sterbende Tier vorwurfsvoll an, obwohl es doch kein Auge mehr besaß.
Siegfrieds Lungen gierten nach Luft. Er tauchte auf, atmete tief durch und suchte nach dem Falken. Doch alles, was er sah, waren ein paar rote Federn, die auf dem Wasser trieben.
»Wo ist der Falke?« rief er zu Amke.
»Er ist durch den Schacht geflogen.«
Ungläubig legte er den Kopf in den Nacken und blickte nach oben. Das Sonnenlicht schillerte wie ein Regenbogen. Trotzdem erkannte Siegfried, wie eng der Schacht war.
»Ich konnte es auch nicht glauben!« erriet Amke seine Gedanken. »Es sah aus, als würde der Falke schrumpfen. Und plötzlich war er fort, wie vom Sonnenlicht verschluckt!«
Offenbar war der rote Falke ein ebenso hilfreicher wie geheimnisvoller Retter in der Not. Zwar hätte Siegfried gern mehr über das Tier erfahren, doch das schien ihm in seiner Lage ein ziemlich hoffnungsloses Begehren zu sein. Also schwamm er zur Felsinsel. Er zog sich auf das Gestein und starrte aufs Wasser. Die Wogen hatten sich wieder geglättet. Friedlich und betörend schön anzusehen, lag der See im hellen Licht. Er hob sich von der düsteren Höhle ab wie ein Smaragd in dunkler Fassung. Wären nicht die paar Federn auf dem Wasser getrieben, hätte man das schreckliche Abenteuer für einen Alptraum halten können.
Siegfrieds Kräfte kehrten allmählich zurück. Er kletterte höher auf die schroffe, zerklüftete Felsnadel. Endlich hatte er das schimmernde Schwertstück erreicht und streckte langsam die Hand aus. Noch bevor er den Stahl
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