Nibelungen 05 - Das Runenschwert
war alles erklärt. Siegfried, Amke, Harko und Onno setzten sich zu König Hariolf, Graf Reinhold, Bischof Severin und anderen hochstehenden Herren an die Tafel der Königin. Das kräftige Holz bog sich fast unter dem reichlichen Mahl, das die Aufwärter um immer neue Köstlichkeiten ergänzten.
Aber Siegfried aß kaum etwas. Er dachte an das Runenschwert und an die Enttäuschung, die er jedesmal zu sehen bekam, wenn sein Blick den von Amke kreuzte. In ihm wollte keine rechte Freude darüber aufkommen, daß ihm jetzt auch die zweite Hälfte der magischen Waffe gehörte. Er fragte sich, ob er an diesem aufregenden Tag mehr verloren als gewonnen hatte.
Kapitel 8
ach altem Brauch sollte Siegfried die letzten Tage vor seiner Schwertleite in Abgeschiedenheit verbringen, um sich unter der Aufsicht seines Zuchtmeisters auf das bedeutsame Fest vorzubereiten. Er würde nicht nur in den Kreis der waffenfähigen Recken aufgenommen, sondern zugleich zum Nachfolger Siegmunds ernannt werden. Sieglind würde fortan nicht mehr die führende Rolle im Reich der Niederlande spielen, sie würde allmählich an Einfluß verlieren und ihrem Sohn bald nur noch eine Ratgeberin sein.
Obgleich es die Trennung von Amke und seiner Mutter bedeutete, fühlte sich Siegfried erleichtert, als er mit Reinhold zur Schwertburg zurückkehrte. Die große Stadt Xanten war ihm nach der Rückkehr von der Jagd beklemmend eng erschienen. Vielleicht lag es an den unangenehmen Blicken, die ihn trafen: Haßerfüllt begegnete ihm Harko, vorwurfsvoll und traurig Amke.
Er ging allen aus dem Weg, bis er endlich mit Reinhold zur Schwertburg reiten durfte. Das alte, vom Rhein umspülte Gemäuer war ihm in den letzten Jahren eine zweite Heimat geworden, nicht weniger vertraut als die Königsburg von Xanten. Hier war er zum Mann gereift und hatte Freunde gefunden, die wiederzusehen er sich freute: Otter und Wieland.
Sobald Siegfried und Reinhold mit kleiner Bedeckung Xanten verlassen hatten und im lockeren Trab zwischen Feldern und Weiden dahinritten, fühlte Siegfried einen stechenden Schmerz in seinem Herzen. Er bedauerte, ohne ein klärendes Wort von Amke fortgeritten zu sein. Wenn er ein Mann sein wollte, mußte er kämpfen, nicht nur um Gold und Ehre, sondern auch um die Frau, die er liebte. Aber es war noch nicht zu spät, beruhigte er sich. Er würde bald in die Königsstadt zurückkehren und dann ein Mann sein, ein Recke, der Träger des Runenschwertes!
Als Siegfried auf der Schwertburg seine Kammer betrat, um die Schwertspitze der anderen Hälfte beizufügen, war seine Erregung so groß, daß seine Glieder zu zittern begannen. Nach einem prüfenden Blick zur Tür und der erleichternden Feststellung, daß sie verschlossen war, zog er die schwere Holzkiste unter dem Bett hervor. Mit fliegenden Fingern griff er in den Lederbeutel an seinem Gürtel, der den eisernen Schlüssel enthielt.
Siegfried schloß den Kasten auf – und zögerte plötzlich, den Deckel aufzuklappen. Was, wenn der Schwertgriff verschwunden war?
Unsinn! sagte er sich.
Mit einer entschlossenen Bewegung schlug er den Deckel hoch und sah das Wolltuch, in das er die in der Wolfsburg erbeutete Schwerthälfte gewickelt hatte. Hastig zog er das Tuch auseinander – und blickte auf den Schwertgriff, erleichtert und aufgewühlt zugleich.
Andächtig, beinah zärtlich strich er über den vergoldeten Griff und die mit Gold verzierten Runen, bevor er die Spitze danebenlegte. Stärker als je zuvor spürte er den seltsamen Zauber, der von dem Schwert ausging. Die Schwertmagie schien auf ihn überzugehen, während er gleichzeitig die Magie beeinflußte. Mensch zu Stahl und Stahl zu Mensch. So fühlte er, während seine Hände wieder und wieder über die Waffe strichen. Er stellte sich vor, wie beglückend es erst sein mußte, wenn das Schwert wieder zusammengefügt war, eine unschlagbare Waffe in seinen Händen!
Aber wie sollte er die Teile zusammenschmieden?
Die Schwertleite fand schon in fünf Tagen statt. Wenig Zeit für Siegfried, heimlich aus dem zerbrochenen Schwert ein ganzes zu schmieden. Gewiß, Reinhold hatte ihn die Schmiedekunst gelehrt. Aber was war, wenn Siegfried einen Fehler beging? Wenn er die Magie des Runenschwertes für immer zerstörte?
Dieser Gedanke hielt Siegfried davon ab, in der Nacht in die Schmiede zu schleichen und ganz allein die Schwerthälften zu vereinen. Er benötigte Hilfe, die Hilfe des besten und erfahrensten Schmieds im ganzen Königreich. Die Hilfe
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