Nibelungen 05 - Das Runenschwert
keinen Schlaf und habe deshalb noch ein paar Verbesserungen an der Klinge vorgenommen.«
»Verbesserungen?« rief Siegfried erstaunt. »Aber das Schwert war doch perfekt.«
» Jetzt ist es perfekt!« erklärte Reinhold und reichte Siegfried das schwere Bündel. »Nutze den Rest des Tages, um dich an deine neue Waffe zu gewöhnen. Am besten an einem abgelegenen Ort. Die Haselwiese wäre wohl geeignet.«
Siegfried kannte den Ort, eine große Lichtung, die etwa eine Reitstunde in Richtung Xanten lag. Ihren Namen verdankte sie den Haselsträuchern, die sich in ihrer Mitte wie eine Burg erhoben.
»Ja.« Er nickte und wollte nach dem Runenschwert greifen, aber Reinhold entzog es seinen zupackenden Händen.
»Nicht sofort!« sagte der Schmied mißbilligend. »Zuerst solltest du dir ein Bad gönnen und dann ein ordentliches Mahl einnehmen. Danach ist noch Zeit genug für einen Ausflug zur Haselwiese.«
»Und das Schwert?«
»Ich werde schon darauf achtgeben«, antwortete Reinhold mit einem verständnisvollem Lächeln.
Wenig später stand Siegfried in der Badestube vor einem großen Bottich, aus dem ihm ein würziges Gemisch entgegendampfte. Es roch wie in einer königlichen Apotheke.
Udalrich, der kahlköpfige Bader, begann seine üblichen, langatmigen Erklärungen: »Ich habe so ziemlich alles ins Wasser geschüttet, was einem Kranken guttut: braunen Fenchel, Johanniskraut, Tausendgüldenkraut, Spitzwegerich, Kamille, Malve, Mauerkraut, Stockrose, Sellerie, Nelkenwurz und Grindkraut.«
»Das ist kein Bad, sondern eine Suppe«, meinte Siegfried, während er aus seinen Kleidern stieg.
Anfangs meinte Siegfried, er könne es nicht einen Augenblick in dem heißen, auf angenehme Weise streng duftenden Bad aushalten. Er wollte aufspringen, als ihn tausend glühende Nadeln zwickten. Aber Udalrich drückte ihn unbarmherzig zurück.
Als er endlich aus dem Bad stieg, fühlte er sich nicht erfrischt, sondern wohlig müde.
Beim Essen leistete Reinhold seinem Ziehsohn Gesellschaft. Das ins Tuch gehüllte Runenschwert lag zwischen all den Speisen auf der Tafel, und keiner der Aufwärter schenkte ihm Beachtung.
Anschließend gingen Reinhold und Siegfried in den Pferdestall, wo der gesattelte Graufell von einem Knecht vorgeführt wurde. Der Bedienstete reichte dem Grafen einen edelsteinbesetzten Ledergurt, den Reinhold an Siegfried weitergab. Ein prächtiges Wehrgehänge! Die lange Schwertscheide war mit Leder umkleidet und ebenfalls mit funkelnden Steinen besetzt.
»Das ist für dich, Siegfried. Ich habe es schon ausprobiert, die Klinge paßt genau hinein.« Augenzwinkernd und im flüsternden Verschwörerton fügte Reinhold hinzu: »Eigentlich darfst du erst auf deiner Schwertleite das Wehrgehänge mit dem Schwert tragen, aber auf der Haselwiese wird dich niemand sehen.«
Siegfried war überwältigt von dem kostbaren Geschenk und bedankte sich. Wie er befürchtete, nur höchst unzulänglich. Aber er gierte danach, endlich ungestört mit dem Runenschwert zu üben.
Als Graufell ihn aus der Schwertburg gebracht hatte, hieb er dem Tier die Fersen in die Flanken und trieb es zu größerer Schnelligkeit an, so stark, daß der Hengst vor Schmerz wieherte.
Siegfried und das Schwert waren eins!
Die Kraft, die er aus der Waffe bezog, mußte wirklich Magie sein. Andernfalls hätten seine Muskeln schon schmerzen, hätte er schon erschöpft und völlig außer Atem sein müssen. Doch Stunde um Stunde verging, und der Xantener wurde nicht müde. Manchmal war Siegfried, als schwinge er nicht das Schwert, sondern die Waffe führe ihn.
Graufell, trotz seiner Ausdauer und Kraft nach dem außergewöhnlich scharfen Ritt erschöpft, hatte seinem Herrn eine Weile mehr gelangweilt als interessiert zugesehen. Dann hatte er sich einen Wildbach mit einem saftigen Grasstreifen gesucht und kümmerte sich nicht weiter um Siegfrieds Attacken gegen eingebildete Fabelwesen und harmlose Bäume und Steine.
Deshalb war Siegfried überrascht, als schneller Hufschlag an seine Ohren drang. Es war nicht Graufell, sondern ein kräftiger Mausfalbe, der von seinem Reiter auf die Lichtung getrieben wurde.
Dicht vor Siegfried zügelte Prinz Harko von Friesland sein Tier und blickte den Xantener finster an. »Sieht aus, als hätte hier ein ganzer Trupp Berserker gewütet. Habt Ihr wieder mal einen Bären in die Flucht geschlagen, edler Siegfried?«
So höhnisch wie die Worte war auch Harkos Gesichtsausdruck. Die Lippen zuckten belustigt, doch hingen die
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