Nibelungen 05 - Das Runenschwert
mächtigen Urs, des Auerochsen. Auch Uruz steht für die Urkraft und die Macht des Feuers. Wo Fehu und Uruz sich mit dem Segen der Götter verbinden, entsteht eine unüberwindliche Kraft.«
Lange starrte Siegfried auf die Runen, gewiß zwei schöne Verzierungen, die jedem Schmied zur Ehre gereichten. Aber konnten davon wirklich magische Kräfte ausgehen? Er fragte Reinhold, ob er daran glaube.
»Das ist nicht wichtig, Sohn. Nur der muß daran glauben, der das Schwert der Götter führt.«
»Wenn es wirklich von den Göttern stammt, kann es auch magische Kräfte besitzen«, stellte Siegfried zögernd fest. Er war sich unsicher, ob es richtig war, die alten Götter neben den Allmächtigen zu stellen. »Aber kann dieses Schwert nicht ebenso von Menschenhand geschmiedet sein?«
»Natürlich kann es das, jedenfalls ist es sehr alt. Aber wenn es ein Mensch war, können doch die Götter seine Hand geführt haben. Deine Väter glaubten jedenfalls, Wodan selbst habe das Runenschwert dem Stammherrn deines Geschlechts überreicht.«
»Erzählt mir die Geschichte!« bat Siegfried.
»Gern, wenn du derweil das Feuer in der Esse schürst.«
Eifrig machte sich der junge Xantener an die Arbeit, blies mit dem doppelten Blasebalg die Glut der Kohlen an, schüttete neue Kohlen aus einem großen Eimer hinzu und verteilte sie mit dem Schürhaken.
»Das Runenschwert soll den Königen von Xanten schon gehört haben, als sie noch keine Könige und Xanten ein unbedeutender Marktflecken war«, begann Reinhold seine Erzählung. »Damals waren die Niederlande noch unter verschiedene Stämme aufgeteilt, und der Stammvater deines Geschlechts war ein Häuptling unter vielen. Als er eines Abends mit seinen Unterführern bei Wildbret und Met saß, ritt ein heruntergekommener Mann auf einer ärmlichen grauen Mähre ins Lager und erflehte seinen Schutz vor Verfolgern, die ihm ans Leben wollten. Diese waren die besten Krieger eines benachbarten Stammes, und die Unterführer rieten deinem Ahnherrn ab, zur Waffe zu greifen. Warum sollte man einen Krieg riskieren wegen eines fremden Bettlers! Als der Fremde aber erzählte, daß er von den Verfolgern heimtückisch überfallen worden sei, zögerte dein Ahne nicht länger, führte seine Mannen gegen die anstürmenden Nachbarn in den Kampf und schlug sie in die Flucht. Der Fremde bedankte sich, bevor er weiterritt, mit der einzigen Kostbarkeit, die er bei sich trug, dem Runenschwert. Der tapfere und rechtschaffene Häuptling und seine Nachfahren sollten es immer zum Kampf für die rechte Sache führen, lauteten die Worte des Fremden. Erst später dämmerte deinem Vorfahren, daß er keinem Menschen geholfen hatte, sondern einem der Götter, die damals noch in Menschengestalt auf Erden wandelten: dem Herrn der Runen selbst, Wodan. Das Schwert erwies sich als unbesiegbar, führte dein Geschlecht von Sieg zu Sieg und schließlich auf den Königsthron.«
»Und Vater hat es zerbrochen«, rief Siegfried kopfschüttelnd, während er einen Moment innehielt, den Blasebalg zu bedienen. »Warum bloß hat er es entweiht?«
Reinhold öffnete die Lippen zu einer Antwort, schwieg aber und legte den Kopf auf die Seite. Er schien zu lauschen. Ehe Siegfried eine Frage stellen konnte, legte der Schmied den Zeigefinger an die Lippen. Er griff nach einem schweren Hammer, schlich zur Tür, riß sie auf und sprang nach draußen.
Siegfried hörte Stimmen, unterdrücktes Stöhnen und ein paar dumpfe Schläge. Dann kehrte Reinhold zurück, in einer Hand seinen Hammer, die andere fest um den Arm eines schlanken Jungen gekrallt.
»Otter!« staunte Siegfried. »Was suchst du hier?«
»Dich und Meister Reinhold«, ächzte Otter. »Hätte ich geahnt, daß ich verprügelt werde, wäre ich nicht gekommen.«
»Warum bist du überhaupt gekommen?« fragte Reinhold mit harter Stimme.
»Ich sah Euch und Siegfried zur Schmiede gehen und bemerkte den aufsteigenden Rauch. Ich dachte, ihr könntet Hilfe gebrauchen. Ihr müßt eine dringende Arbeit verrichten, wenn ihr die Nacht dafür opfert.«
»Wir schaffen es schon allein«, sagte Reinhold abweisend. »Geh jetzt zurück zur Burg, auf der Stelle! Und plappere nicht herum!«
»Lieber versiegele ich meine Lippen, ehe ich mir von Euch die Zähne ausschlagen lasse, Meister Reinhold.« Anscheinend hatte Otter seinen Humor schnell wiedergefunden. Er wünschte dem Freund und dem Lehrmeister gutes Gelingen und lief hinaus, zurück zur Burg.
»Ich mag keine Spione!« stieß Reinhold hervor,
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