Nibelungen 07 - Das Zauberband
»Schaut genau hin, Norwin, was nun mit ihr geschieht.« Sie lachte kalt.
Raban betrachtete Norwins Profil. Der Krieger blickte teilnahmslos auf die Tote herab. Nur seine Hände hatten sich ganz langsam wieder zu Fäusten geschlossen, die Schultermuskeln zuckten nervös, doch sonst schaute er unbewegt auf Arma, ohne sich zu rühren. Raban verstand es nicht.
Ein plötzliches Zittern, das durch den toten Leib der Kriegerin ging, lenkte seine Aufmerksamkeit von Norwin ab. Die Haut der Frau fiel in tiefen Falten zusammen, wurde plötzlich alt und fahl, verwelkte wie die Blüte einer schönen Blume, so als wäre die Kriegerin ein uraltes Weib gewesen. Sie ähnelte nun immer mehr der Gestalt der Priesterin, wie sie nach der Beschwörung der Wölfin ins Zelt gekommen war. Die Wangen der Kriegerin brachen über den Knochen ein, verzerrten das Gesicht der Frau zu einer wachsgelben Totenfratze. Ihr kurzes blondes Haar wurde dünn und grau. Der ganze Körper schien bis auf die Knochen, die mehr und mehr aus den Gewändern hervorstachen, zu schrumpfen.
Dann schlug sie die Augen auf.
Ein unerwartetes Zittern bebte durch Norwins Körper. Der Krieger straffte den Rücken.
Raban sah, wie Arma sich aufrichtete und irritiert um sich blickte. Hungrig leckte sie sich über die Lippen.
Die Priesterin lachte böse.
»Ihr seht, Norwin, ich bin längst nicht so grausam, daß ich Euch Eurer Geliebten entreißen würde. Hier habt Ihr sie wieder! In aller Pracht und Schönheit. Sie braucht nur ein wenig Blut, und Ihr könnt sie lieben bis in alle Ewigkeit!«
»Ihr seid ein Ungeheuer«, zischte Norwin, und Raban sah, wie der Krieger mit einem gewaltigen Satz zu seinem Schwert sprang, es mit beiden Händen hochriß und damit der erwachenden Kriegerin den Kopf abschlug.
Langsam kroch Raban durch das kühle feuchte Gras von den Zelten fort. Es fröstelte ihn wieder, seine Glieder zitterten. Als er hinter den ersten Bäumen Deckung fand, stand er auf und erkannte nicht weit davon die vertraute Gestalt seines Pferdes. Wie eine gewaltige Statue hob sich die Silhouette des mächtigen Hengstes gegen das heller werdende Licht ab. Seine Nüstern witterten unruhig, und sein langer gewellter Schweif wehte leicht im Wind.
Raban schaute zurück. In einiger Entfernung sah er die glühenden Reste des Lagerfeuers. Fünf der sieben Zelte waren bereits abgebrochen. Die Männer sattelten ihre Pferde. Niemand schien ihn bemerkt zu haben.
Der junge Ritter streichelte dem Pferd das warme Fell. Sein wollener Umhang fiel ihm ein. Die Priesterin hatte einen der Männer fortgeschickt, um die Fundstelle des kostbaren Tuches bei Tagesanbruch genauer zu durchsuchen und den Spuren zu folgen.
Raban schwang sich auf Bortinos Rücken. Bis dieses Heer gegen den Wasserfall zog, hatte er Zeit genug, sich von dem Krieger seinen Umhang zurückzuholen. Dann wollte er der schwarzen Priesterin zum Wasserfall folgen. Es interessierte ihn, herauszufinden, ob es ihr tatsächlich gelang, den heiligen Garten zu vernichten.
Der morgendliche Wind wehte rauh über den Wasserfall hinweg und trieb einzelne Tropfen ans Ufer, die Brunhild wie Tränen auf ihren Wangen fühlte. Das war ungewöhnlich! Seit sie denken konnte, lebte sie hier im Zaubergarten der heiligen Priesterinnen, doch nie hatte sie ein solch düsteres Wetter erlebt. Die Frauen flochten täglich mit ihren Liedern zu Ehren der Göttin ein magisches Band, welches den Frühling immerwährend in dem kleinen Reich rund um den Wasserfall hielt. Doch jetzt stiegen Nebelschwaden wie Rauchsäulen eines Feuers aus dem See und den umliegenden grünen Wiesen auf und färbten den sonst stets blauen Himmel weißgrau.
Brunhild schaute sich um. Von dem grünen Tempelhügel hinab sah sie die alte Ramee auf einen Stab gestützt durch das feuchte Gras zu ihr an den See herunterkommen. Das sonst sorgfältig zusammengesteckte weiße Haar der Alten lag ihr jetzt offen über den leicht gebeugten Schultern; es schien sie wie ein heller Lichtkranz zu umgeben.
Ramee trug ein kostbares weißes Gewand, das an seinem unteren Rand mit goldenen Fäden bestickt war. Brunhild hatte dieses Kleid bisher erst zweimal bei hohen Feierlichkeiten an der alten Priesterin gesehen. Um die Taille trug die alte Frau einen Gürtel aus kleinen silbernen Ringen, nur die Schnalle war ein wenig aufwendiger gearbeitet.
Die weise Frau schien es sehr eilig zu haben. Mit ernstem Gesicht kam sie auf Brunhild zu, ohne das sonderbare Naturschauspiel des kühlen
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