Nibelungen 07 - Das Zauberband
Zeit erzählt, daß Luovana bei ihrer Geburt gestorben war. Mehr wußte sie nicht! Es hatte sie nicht interessiert, bis zu diesem Augenblick.
Ramee schüttelte den Kopf. »Nein, sie hat ihre Aufgabe auch nicht ganz erfüllt. Luovana hätte Ritter Bruno, deinen Vater, niemals aufhalten dürfen, doch er stand unter Lursas dunklem Zauber und…« Die Alte schaute plötzlich auf. »Das sind alte Geschichten, mein Kind, die uns heute nicht weiterbringen. Doch nun schau«, die Alte hob den knochigen Finger zum Himmel, »die Sonne müßte längst dort oben zu sehen sein, statt dessen ist hier nichts als Nebel.« Sie wischte sich die Feuchtigkeit aus dem Gesicht und fuhr sich mit der Hand durch das weiße Haar. Langsam schaute sie in alle Himmelsrichtungen, als suche sie etwas. Dann blickte sie Brunhild an. »Wir müssen uns beeilen, mein Kind, sonst kommt uns die schwarze Göttin vielleicht noch zuvor.« Sie griff nach Brunhilds Hand. »Sag, kannst du das Lied des erwachenden Feuers singen?«
»Jetzt, vor der Zeremonie? Wozu?« Brunhild hob erstaunt die Brauen. Sie verstand nicht ganz, was die Alte damit bezweckte, in diesem Nebelwetter nun ein Feuer anzuzünden.
»Ich will sehen, ob du es kannst«, sagte Ramee nachdrücklich. »Zeig mir das entfachende Feuer!«
»Aber, ich verstehe nicht?!«
»Du brauchst nichts zu verstehen! Kannst du es? Ja oder nein?« Die Stimme der Priesterin hatte einen festen Klang bekommen, und ihre Augen waren streng auf Brunhild gerichtet.
»Natürlich kann ich es«, erwiderte Brunhild. »Mirka ließ es mich seit unzähligen Tagen immer wieder singen.«
»Das war sehr weise von der Hohenpriesterin«, sagte die Alte und schaute wieder in den Himmel, dann auf den Wasserfall, schließlich fiel ihr Blick zurück auf Brunhild, die sich, ohne die Hand der alten Frau loszulassen, auf dem feuchten Boden niedergelassen hatte.
»Was habt Ihr vor, Ramee? Sprecht nicht in Rätseln zu mir.«
Die Alte nickte. »Wie du willst. Gestern war die Nacht des brennenden Mondes!«
Brunhild nickte. Sie hatte den unheimlichen roten Mond am Himmel gesehen. Es hatte sie eine Weile beunruhigt, doch dann war sie eingeschlafen.
»Während der Zeit des roten Mondes«, fuhr Ramee fort, »hat die dunkle Seite der Göttin sehr viel Macht.«
»Mirka hat mir von der dunklen Göttin erzählt«, sagte Brunhild und versuchte, sich an die Worte der Hohenpriesterin zu erinnern. »Stell dir eine zornige, wilde Frauengestalt vor«, hatte Mirka gesagt. »Eine Frau mit schwarzem Zottelhaar, die schön und häßlich zugleich ist, blutig und leichenblaß, die ewig hungrig ist nach Blut und Fleisch und die niemals zur Ruhe kommt. Deren Leben der Haß und das Verderben ist, aber auch die Trauer und die Jagd, ohne daß sie damit je an ein Ziel käme, denn Rastlosigkeit ist ihr Fluch.«
Brunhild hatte lange nicht an Mirkas Beschreibung gedacht, ihr war die Vorstellung von der dunklen Göttin niemals wichtig gewesen. Hier im heiligen Hain der weißen Göttin war das Finstere, Lieblose weit fort!
»Nun«, sagte Ramee, »in dieser unheilvollen Nacht sind die Tore zu anderen Welten weit offen. Geisterwesen verlassen die eine Welt und gehen in eine andere, Dämonen können gerufen werden, und es ist möglich, bestimmte Rituale zu vollziehen, die sonst durch unsere heilige Göttin verhindert werden.«
Brunhild neigte den Kopf ein wenig. Für einen Augenblick war sie sicher gewesen, fremde Stimmen zu hören, doch dann war es wieder still.
»Du glaubst also«, fragte sie, »daß irgend jemand in der letzten Nacht die Gunst des roten Mondes ausgenutzt hat, um zur schwarzen Göttin zu beten?«
Die Alte nickte. »Ja, das glaube ich. Wahrscheinlich ist da sogar mehr geschehen als nur ein Gebet. Vielleicht ist dieses Gebet, was auch immer es war, erhört worden.«
»Aber was bedeutet das für uns hier am Wasserfall?« Brunhild blickte besorgt um sich. Wieder hatte sie das Gefühl, hinter dem Nebel, am anderen Ufer des Sees, etwas gehört zu haben.
Auch die Alte hob den Kopf, fuhr aber dann leise mit ihrer Rede fort.
»Als Mirka und Arma heute morgen nicht zurückgekehrt sind und auch die Eskorte aus den Feuerbergen nicht kam, haben die Priesterinnen und ich in einer Zeremonie das Orakel des Tempels befragt. Was wir sahen, hat uns sehr beunruhigt. Die dunkle Macht ist aus irgendeinem Grund sehr stark geworden. Die heiligen Wasser des Tempels haben sich schwarz gefärbt, einige der Fische in dem göttlichen Teich waren verendet, die
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