Nibelungen 08 - Der Ketzerfürst
gesetzt. Er mußte diese sächsischen Söldner damit gemeint haben.
Der Spielmann spürte, wie ein Blick auf ihm lastete. Der Kri e ger links neben dem Eberkopf … Der Sachse war noch jung. Er mochte kaum mehr als zwanzig Sommer gesehen haben. Seine Augen glänzten wie im Fieber. Die Lippen des Mannes bewe g ten sich stumm. Volker faßte ihn sanft am Arm. Für einen A u genblick kniff der Sachse die Augen zusammen. Er stöhnte. Selbst diese leichte Berührung schien ihm Schmerzen bereitet zu haben.
»Wir holen dich da runter … « Der Barde blickte an dem Baumstamm hinab. Bis zu den Wurzeln war der graue Stamm mit Blut und Fäkalien besudelt. Schillernde Fliegen tanzten um die Füße des Sachsen, krochen über seine schmutzigen Hosen und die Schürfwunden an seinen Armen. Fast einen halben Schritt hingen die Füße des Sachsen über dem Boden. Volker fragte sich, wie tief sich der angespitzte Baumstamm schon in den Leib des Mannes gebohrt haben mochte. Ob er noch zu re t ten war? Oder würde jeder Versuch, ihn herabzunehmen, ihm nur zusätzliche Qualen bereiten.
»Sing Odin … daß … ich … « Der junge Krieger stöhnte. » … ich ein tapferer … Mann war.«
»So schnell wirst du deinen Gott noch nicht sehen. Wir we r den dich dort herunter hole und dann … «
»Aelfre … «
Volker blickte den Mann verwundert an. Aelfre? Was hatte das zu bedeuten?
Der Krieger versuchte seinen Arm zu bewegen. Er schien auf seine Brust weisen zu wollen. Im selben Augenblick ging ein Ruck durch seinen Körper. Der Sachse stöhnte auf. Blut tropfte von seinen Lippen. Noch immer starrte er Volker mit weit off e nen braunen Augen an. Der Pfahl hatte sich ein wenig tiefer in den Leib des Mannes gebohrt.
Bis auf das Summen der Fliegen war es totenstill im Buche n hain. Schmale Streifen roten Lichts fielen durch das Blätterdach. Der Morgendunst hatte sich fast aufgelöst. Nur dünne graue Schleier trieben noch dicht über dem Boden. Jetzt erst bemerkte Volker den Gestank. Es roch nach Kot, Blut und dem herben Duft verfaulender Blätter. Warum hatte der Eber die Sachsen nicht einfach alle umgebracht? Warum diese Folter? Es mußte mindestens eine Stunde gedauert haben, die Krieger zu pfä h len. Wahrscheinlich sogar länger. Der Räuber mußte doch wi s sen, daß Ricchar ihm bald folgen würde. Jede Stunde, die er Vorsprung hatte, mochte bald schon kostbar für den Eber sein …
Der Spielmann griff nach dem Hals des Sachsen. Er konnte spüren, wie das Blut noch immer schwach durch die Adern des Mannes pulsierte. Der Sachse war nur ohnmächtig. Volker wünschte, niemals in den Buchenhain gekommen zu sein. Was sollte er tun? Jeder Versuch, den Mann vom Pfahl zu nehmen, würde nur unendliche Qual für ihn bedeuten. Und wenn er jetzt ging und den anderen sagte, der Sachse sei tot … Volker schluckte. Er hatte einmal von einem Mörder gehört, der g e pfählt worden war. Drei Tage hatte es gedauert, bis der Kerl endlich tot war. Wie lange der junge Sachse wohl noch zu le i den hätte?
Er schlang seine Arme um die Hüfte des Kriegers. Mit aller Kraft spannte er die Muskeln an. Dann schob er den Gepeini g ten nach oben. Die Schmerzen brachten den Sachsen wieder zu Bewußtsein. Er stieß einen leisen Schrei aus. Es gab ein gräßl i ches, schmatzendes Geräusch, als sich das geschundene Fleisch vom Pfahl löste. Volker biß sich auf die Lippen. Endlich war der junge Krieger befreit und sank ihm in die Arme.
Vorsichtig bettete der Spielmann den tödlich Verletzten auf den weichen Waldboden. Das Gesicht des Sachsen war eine Grimasse des Schmerzes. Seine Lippen zitterten, als wolle er etwas sagen. Volker beugte sich vor, um ihn verstehen zu kö n nen.
»Aelfre … «
»Das ist dein Name, nicht wahr? Ich werde ein Lied von dir singen, Aelfre, damit die alten Götter von deiner Tapferkeit h ö ren, und beten werde ich für dich, damit deine Seele nicht in das Reich Satans eingeht. Hörst du mich … Und deinen Mörder will ich finden. Er soll diesen Winter nicht überleben, der Eber! Wenn Ricchar ihn nicht stellt, dann werde ich ihn finden. Er soll nicht noch länger seine blutige Spur durch die Wälder zi e hen … «
Der Blick des Sachsen war auf das dunkle Blätterdach geric h tet, das mit den ersten Strahlen der Morgensonne zu einem düster schönen Mosaik aus Licht und Schatten geworden war. Einen Herzschlag lang hatte Volker das Gefühl, als forme sich in dem Blätterdach das riesige Gesicht eines bärtigen Mannes. Dann fuhr
Weitere Kostenlose Bücher