Nibelungen 08 - Der Ketzerfürst
wurde, in Stich gelassen. Was war in ihm vorgegangen, daß er sich nun so sehr um Mechthild sorgte. War es am Ende vie l leicht Reue über das Leben, das er einmal geführt hatte?
Aber was zählte das schon! Das wichtigste war, daß sie diese verfluchte Stadt hinter sich gelassen hatten! Ricchar hatte Vo l ker in der Nacht und noch ein zweites Mal am Morgen besucht. Golo wußte nicht, worüber die beiden gesprochen hatten, doch Volker war offenbar durch nichts von seinem Entschluß abz u bringen gewesen, an diesem Morgen aufzubrechen. Was in der vergangen Nacht wohl in der Kammer des Spielmanns gesch e hen war? Jeder erzählte eine andere Geschichte darüber. Die Wachen und Krieger im Palast waren davon überzeugt, daß ihr Gott Mithras dem Barden ein Zeichen geschickt hatte. In ihren Augen war der Spielmann auserkoren, und es war ihm b e stimmt, irgend etwas Ungewöhnliches zu tun. Ganz anders hörte sich die Geschichte an, die Mechthild zu erzählen hatte. Und sie mußte schließlich wissen, was geschehen war. Imme r hin war sie dabeigewesen! Sie hatte nur ein kaltes blauweißes Licht gesehen. Eine Kugel, so groß wie ein Menschenkopf, die in das Zimmer geschwebt war. Sie hatte Angst vor dieser u n gewöhnlichen Erscheinung gehabt.
Und Volker … Golo schmunzelte. Der Spielmann glaubte, ihm sei der Feuervogel erschienen. Er hatte keine Kugel, sondern einen Vogel mit glühenden Schwingen gesehen. Doch ganz gleich, was auch immer es gewesen sein mochte, es hatte sie aus dem Bann des Ketzerfürsten Ricchar gelöst. Vielleicht war es ja ein Engel, den einer der Heiligen geschickt hatte, um Volker auf den rechten Weg der Tugend zurückzuführen und gegen die Versuchung Satans zu schützen.
Ob sie Ricchar wohl entkommen waren? Das weite Bergland vor ihnen gehörte bis kurz vor die Tore von Treveris dem Ga u grafen. Auch Ricchar wollte in den nächsten Tagen in die Berge reiten, um der Spur des Ebers zu folgen. Hoffentlich entkam ihm der Räuber. Wer immer sich gegen den Ketzer stellte, konnte im Grunde kein schlechter Mensch sein. Golo glaubte noch immer nicht daran, daß der verschwundene Palastdiener von Strauchdieben getötet worden war. Der Mord war auf B e fehl Ricchars geschehen!
Wieder blickte Golo zum Himmel. Manchmal fiel es ihm schwer, die Geschichten der Priester zu glauben. Irgendwo dort oben lag das Reich Gottes. Das himmlische Paradies, ein Ort ewiger Glückseligkeit … Doch was tat man dort eine Ewigkeit lang? Die Priester erzählten nie viel darüber, was da oben g e schah. Die Geschichten der Heiden waren im Vergleich dazu wesentlich anschaulicher. Den Helden war es bestimmt, mit den Göttern zusammen an einer Tafel zu sitzen und auch we i terhin das Leben von ehrenhaften Kriegern zu führen … Golo schüttelte energisch den Kopf. Was dachte er da nur! Mit solch stummen Zwiegesprächen gefährdete er sein Seelenheil! Bei nächster Gelegenheit sollte er einen Priester zur Beichte aufs u chen. Es war nicht gut, seine Seele mit solchem Schmutz zu b e sudeln … Doch wie lange mochte es wohl dauern, bis sie einen Christenpriester trafen? In Castra Bonna waren alle Kirchen vernagelt gewesen. Ob Ricchar die Christenpriester wohl auch schon aus den Bergen vertrieben hatte? Wie konnte ein Mann nur ungestraft solches Unrecht tun? Warum wurde dieser ruc h lose Versucher nicht einfach von einem Blitz aus heiterem Himmel erschlagen? Oft schon war es Golo so erschienen, daß Gott gegenüber seinen treuesten Anhängern strenger war als gegenüber den Ketzern oder den Kleingeistigen, deren Chri s tentum kaum mehr als ein Lippenbekenntnis war.
Mit jähem Schrecken wurde Golo bewußt, daß seine Geda n ken blanke Ketzerei waren. Das mußte das schleichende Gift des Frankenfürsten sein. Seine süßen Worte und seine Locku n gen … Sie waren dazu angetan, jedem, der ihm begegnete, die Seele zu vergiften. Warum sah Ricchar nicht aus wie einer der Teufel, von denen die Priester erzählten? Warum stand ihm seine Verruchtheit nicht ins Gesicht geschrieben? Sicher hatte der Versucher selbst den Leib des Grafen aus dem blutbesude l ten Lehm der Hölle geschaffen und ihm mit seinem fauligen Atem Leben eingehaucht. Das mußte auch der Grund sein, w a rum der Eber Ricchar nicht getötete hatte. Die Diener der Fin s ternis brachten einander nicht um!
Leise begann Golo ein Vaterunser zu beten. Er mußte vorsic h tig sein! Die letzten Tage hatten ihn über einen schmalen Grad geführt, und wenn er nicht fest im Glauben war,
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