Nibelungen 08 - Der Ketzerfürst
konzentrierte sich auf das Licht der Fackel am Ende des Ganges und lauschte auf Geräusche hinter den Türen, an denen sie vorbeikamen, doch es gelang ihm nicht, den Eber vö l lig aus seinen Gedanken zu verbannen.
Am Portal des Praetoriums standen keine Wachen. Auch der Hof der Garnison war menschenleer und dunkel. Aus einem der Kasernenbauten drang Lärm, so, als würde dort ein Fest gefeiert. Durch die schmalen Fenster der beiden Türme, die das Tor flankierten, schimmerte fahles Licht.
Wahrscheinlich saßen die Soldaten dort beisammen und ve r trieben sich die langen Stunden der Nacht mit Würfelspielen und Geschichten. Oder sie haderten mit ihrem Schicksal, weil sie von dem Fest ihrer Kameraden ausgeschlossen waren. Wie sollten sie auch ahnen, was im Praetorium geschehen war?
Volker entschied, daß es zu gefährlich war, den Hof in ger a der Linie zu überqueren. Der Nachthimmel war klar, und der Mond stand hoch am Himmel. Es war hell genug, daß man sie hätte erkennen können. Er gab dem Eber ein Zeichen und hielt sich dann links. Sie würden im Schatten der Kasernen und Sta l lungen bis zum Tor schleichen und dann … Vielleicht gelang es ihnen ja, die Wachen zu überraschen oder sogar völlig unb e merkt das Tor zu öffnen. Der Spielmann starrte angestrengt zur dunklen Höhlung des Torbogens. Es schien, als stünde dort niemand auf Posten.
Sie hatten schon mehr als die Hälfte des Weges um den Hof geschafft, als ein Geräusch Volker herumfahren ließ. Ein Mann mit einer Laterne in der Hand war aus einer der Kasernen g e treten. Mernog!
»Dort wandert mein Kopfgeld durch die Nacht. Ich finde, der Kerl sieht einsam aus. Er sollte Gesellschaft bekommen.« Der Eber ließ die Leiche des Statthalter zu Boden gleiten. »Er darf nicht bis ins Praetorium kommen. Gib mir deinen Bogen!«
Der Eber riß Volker die Waffe aus der Hand und legte einen Pfeil auf die Sehne. »Eulenfedern tragen lautlos den Tod durch die Nacht«, murmelte der Räuber leise und zog die Sehne z u rück.
»Halt! Wer da!« Ein Krieger mit Schild und Speer trat aus dem Schatten des Torbogens.
Mernog blieb stehen und hob die Fackel, so daß ihr Licht auf sein Gesicht fiel. »War dein Vater ein blinder Maulwurf, Chi l diger, das du auf zwanzig Schritt deine Kameraden nicht mehr erkennst? Ich bin es, Mernog!«
»Ist ja schon gut … « Die Wache trat in den Schatten des To r bogens zurück.
Der Eber ließ den Bogen sinken. »Wenn ich ihn jetzt abschi e ße, wird der andere es merken. Ich werde Mernog ins Praetor i um folgen. Kümmere du dich inzwischen um den Torposten.«
Der Spielmann nahm den Bogen zurück und blickte dem Eber nach, der wie ein Schatten entlang der Hauswände glitt. Nur wenige Herzschläge nachdem Mernog durch das Portal des Praetoriums getreten war, langte auch der Räuber dort an. Vo l ker wandte sich ab. Er war sicher, daß der Franke nicht mehr dazu kommen würde, einen Laut von sich zu geben. Geda n kenverloren blickte der Spielmann dem Räuber nach. Sich selbst das Kopfgeld zu holen, das auf ihn ausgesetzt war, war etwas, was dem Räuber sicher gefiel. Doch was wäre, wenn man ihn schnappte. Im Praetorium waren die Schlafgemächer der Garnisonsoffiziere. Wenn sie den Eber erwischten, war es der Wille Gottes! Er würde nicht umkehren, um ihm zu helfen, dachte Volker. Es wäre sinnlos, sich zu zweit gegen die ganze Garnison zu stellen.
Der Spielmann blickte zum Tor. Hoffentlich hatten Golo und seine Gefährten es geschafft, das Stadttor zu erobern. Sonst würde es herzlich wenig nutzen, das Tor des Kastells zu öffnen.
In den Schatten der Stallungen geduckt, schlich Volker bis zur Festungsmauer und folgte ihr bis zu den Tortürmen. Er mußte den Wachtposten überraschen. Der Kerl durfte keinen Laut mehr von sich geben! Mit dem Rücken gegen die Mauer g e preßt, stand er dicht neben dem Torbogen und lauschte. Nicht das leiseste Geräusch war zu hören. Vielleicht war der Posten gegangen? Volker konnte sich an zwei kleine Türen im Torgang erinnern, die ins Innere der Türme führten. Womöglich war der Soldat gar nicht mehr hier.
Der Spielmann zog sein Schwert und verbarg es unter seinem Umhang. Dann trat er um die Ecke.
»Halt! Wer bist du?« In der Finsternis blitzte eine Speerspitze.
»Schon gut, Mann. Ich bin der Jäger, der den Eber gefangen hat. Dein Kommandant hat mir meine Belohnung gegeben. Ich soll jetzt gehen.«
»Warum habe ich dich nicht über den Hof kommen sehen?«
Volker machte einen raschen
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