Nibelungen 08 - Der Ketzerfürst
hohe Kräne erke n nen, die ihre langen Arme noch hoch über die Dächer der Spe i cherhäuser erhoben. Die Masten der Flußschiffe an den Kais wirkten im Vergleich zu ihnen geradezu klein und zerbrechlich. Auf sieben Pfeilern spannte sich dort eine prächtige Brücke über den Fluß, getragen von Rundbögen, die so hoch waren, daß die meisten Flußkähne wohl unter ihnen hindurchfahren konnten.
Golo fragte sich, wie die Franken es geschafft haben mochten, den Römern diese gewaltige Stadt zu entreißen. Und wie kon n te es sein, daß das Volk, daß solche Wunder vollbringen kon n te, von Barbaren vertrieben wurde. War es, weil sie zu lange in den Mauern ihrer Städte heidnische Götzen verehrt hatten? Konnte es eine andere Erklärung für ihren Untergang geben als die, daß sie den Zorn Gottes auf sich gezogen hatten?
Verlegen klopfte sich der junge Ritter ein wenig Schmutz von der Tunika. Mehr als zwei Wochen hatten sie ihre Kleider nicht gewechselt oder auch nur gereinigt. In der Wildnis waren Vo l ker und ihm Bärte gewachsen, ihr Haar war strähnig und ve r filzt. Wie zwei Strauchdiebe mußten sie aussehen! Womöglich würde man sie gar nicht in die Stadt hineinlassen?
Schon von weitem konnte Golo die grünen Umhänge und die roten Schilde erkennen, die die Krieger Giselhers, des Bruders des Königs, trugen. Er war zum Statthalter von Treveris eing e setzt worden und residierte nun in dieser Stadt, in der ange b lich einst der Kaiser Konstantin geherrscht hatte.
Unmittelbar vor ihnen passierte ein hoch mit nassem Heu b e ladener Wagen das Doppeltor. Offenbar kannten die Wachen den Kutscher, denn sie winkten den Mann durch, ohne auch nur einen Blick auf dessen Fracht zu werfen. Ihnen beiden j e doch verstellten sie den Weg. Ein älterer Mann mit einem prächtigen Bart winkte sie zur Seite.
»Was wollt ihr beiden in der Stadt? Hier tragen nur die Mä n ner des Königs Waffen.«
Golo wollte antworten, doch Volker gab ihm ein Zeichen zu schweigen. Der Spielmann musterte den Torposten kühl. »Weil hier nur die Männer des Königs Waffen tragen, solltest du uns besser durchlassen.«
»Was soll das heißen, Kerl? Werd ’ hier nicht frech, oder ich laß dir das Maul stopfen!«
»Das soll heißen, daß vor dir Volker von Alzey, ein Vertrauter des Königs Gunther und Freund deines Herren Giselher, steht. An meiner Seite siehst du meinen Vertrauten, den Ritter Golo und … «
»Und ich bin der Schwager des Königsbruders Gernot!« Der Wächter lachte. »Das ist die dreisteste Lüge, die ich jemals g e hört habe, Fremder. Bist du ein Possenreißer oder ein Narr? Oder hat Gott dir den Verstand verwirrt, daß du dich für einen Herrn von Adel hältst? Der Mann, für den du dich ausgibst, ist ein berühmter Held, und er führt in den Bergen, die du dort hinten auf der anderen Seite des Flusses siehst, Krieg gegen den Ketzerfürsten Ricchar.«
Für einen Moment lang konnte Golo beobachten, wie es Vo l ker förmlich die Sprache verschlug. Doch der Spielmann hatte sich schnell wieder gesammelt. »Siehst du diesen Wollumhang? Hast du je einen Stoff in diesem Rot gesehen? Nur Volker trägt einen solchen Umhang. Und sieh mein Schwert! Ist das die Waffe eines Jägers aus den Bergen?«
Ein junger Ritter im Kettenhemd, der offenbar die Wachen am Tor kommandierte, war inzwischen auf sie aufmerksam g e worden und trat an die Seite des Kriegers. »Was geht hier vor, Ruitbold? Machen die beiden Ä rger?«
»Würdet Ihr diesem hirnlosen Waffenständer erklären, daß es sich nicht ziemt, dem Spielmann des Königs den Zugang in e i ne burgundische Stadt zu verwehren. Wenn ich nicht späte s tens in einer halben Stunde in einem warmen Bad sitze und e i nen Becher voll geharztem Wein in Händen halte, werde ich dafür sorgen, daß ihr beiden die nächste Gesandtschaft in die Barbarenlande begleiten dürft.«
Der junge Ritter wollte schon zu einer passenden Antwort a n setzen, als er plötzlich erbleichte. »Bei allen Heiligen! Ihr seid es wirklich, Herr Volker. Es ist lange her, daß ich zum letzten Mal die Ehre hatte, einem Eurer Lieder am Hofe des Königs zu la u schen und … vergebt mir diese Bemerkung … doch Ihr saht d a mals … anders aus.«
»Eure Anspielung auf mein Äußeres ist nicht gerade höflich, Ritter.«
»Vergebt, Herr. Ich wollte nur erklären, warum ich Euch nicht gleich erkannt habe. Wenn Ihr gestattet, werde ich Euch s o gleich zum Fürsten Giselher geleiten. Ich bin sicher, daß er Euch umgehend
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