Nibelungen 08 - Der Ketzerfürst
bislang stets freundlich aufgenommen hatte. Spielleute galten als unb e rührbar, und sein Ruf war weit über die Grenzen des Burgu n denreiches bekannt. Dennoch hielt es Golo für alles andere als eine gute Idee, ausgerechnet im Königreich der Franken nach einem Abenteuer zu suchen.
Sie waren nicht mehr weit von Castra Bonna entfernt. Ve r mutlich würden sie die Stadt schon vom nächsten Hügelrücken aus entdecken können. Golos Blick schweifte über die weite Flußlandschaft. Es war kein Mensch zu sehen. Zwischen zwei Weiden am sumpfigen Ufer lag ein altes Fischerboot. Das Holz war grau und verschossen. Ein zerrissenes Netz hing in einem Busch. Zwei Reiher staksten auf ihren langen Beinen durch den Schlamm und spähten nach Fröschen.
Obwohl die Sonne schon tief am Himmel stand, war es noch immer sehr heiß. Dabei war der August nun fast schon zu E n de. Golo mußte an sein Heimatdorf denken und an seinen O n kel. Der alte Mann besaß einen steinigen Hügel, auf dem die Familie schon seit undenklichen Zeiten Wein zog. Bei dem We t ter würden prächtige Trauben heranreifen. Der Sommer war heiß gewesen, und doch hatte es auch genügend Regen geg e ben. An den Wein dieses Jahres würde man sich noch lange erinnern … Golo seufzte. Manchmal malte er sich aus, was mit ihm geschehen wäre, wenn Volker ihn nicht zu seinem Kna p pen erwählt hätte.
Der junge Ritter schüttelte ärgerlich den Kopf. Es war müßig, über solchen Unsinn nachzudenken. Von dem Weg, den er b e schritten hatte, gab es kein Zurück! Schwer spürte er das Schwert an seiner Seite. Nie wieder würde er einem Pflug über das Feld seines Vaters folgen. Zum Pfingstfest hatte er König Gunther den Treueeid geleistet. Er war nun ein Krieger, und wenn der König seine Lehnsmänner zu den Waffen rief, dann würde er mit ihnen reiten, ganz gleich, ob die anderen Ritter ihn heimlich verspotteten oder nicht. Man hatte ihn gelehrt zu töten. Auch wenn er kein sonderlich geschickter Schwertkäm p fer war, so hatte er sich doch insgesamt als begabter Schüler erwiesen. Im Kampf mit der Lanze und der Streitaxt brauchte er nur wenige von Gunthers Rittern zu fürchten. Bei Hof sprach man viel darüber, daß es wohl bald wieder Krieg mit den Sac h sen geben würde …
Golo blickte zu Volker hinüber, doch sein ehemaliger Herr bemerkte ihn nicht. Vielleicht dichtete der Spielmann in G e danken ein neues Lied?
Dreihundert Schritt von ihnen entfernt erhoben sich auf einem Hügel nahe dem Ufer drei große schwarze Weiden. Raben ka u erten dort im Geäst. Vom Stamm des mittleren Baumes hing etwas Helles hinab. Golo konnte es nicht genau erkennen, doch schienen sich die Raben sehr dafür zu interessieren. In dunklem Rot erglühende Wolken hatten sich vor die Sonne geschoben. Ein leichter Windhauch wehte vom Fluß herüber. Die Brise ließ Golo erschauern. Irgend etwas hatte sich verändert. Unsicher musterte er die Bäume, und einige Augenblicke verstrichen, bis er wußte, was plötzlich anders war. Es war still. Die Vögel im Uferdickicht, die sie den ganzen Tag über mit ihrem Konzert begleitet hatten, und die Grillen im hohen Gras, sie alle waren verstummt. Seine Stute hatte die Ohren steil aufgerichtet und schnaubte leise. Selbst Volker hob jetzt den Kopf, so als habe ihn etwas aus seinen Gedanken aufgeschreckt.
Ein Vogelschrei beendete das Schweigen. Es war einer der Raben auf der Weide vor ihnen. Mit heiserem Krächzen hatte er sich von dem dicken Ast abgestoßen, drehte einen Kreis über dem Hügel und flog dann dem jenseitigen Ufer entgegen. Einen Atemzug später folgten ihm die anderen Raben mit schwerem Flügelschlag.
Der Hügel vor ihnen war jetzt nur noch wenig mehr als hu n dert Schritt entfernt, und als Golo den Blick vom Himmel wandte, konnte er erkennen, was vom Stamm der mittleren Weide hing. Es war eine Frau, die man mit dem Kopf nach u n ten an den Baum gebunden hatte. Deutlich sah er die großen dunklen Flecken auf ihrem Gewand, und wie krumme Spi n nenbeine ragten zerbrochene Pfeilschäfte aus ihrem Leib.
Hinter dem Hügel erklang das Donnern von Hufen. Unwil l kürlich glitt die Hand des jungen Ritters zum Schwert an seiner Seite.
»Laß das!« zischte Volker scharf. »Das werden zu viele für uns sein. Vergiß nicht, daß ich als Barde unberührbar bin. J e denfalls solange ich nicht mit der Waffe in der Hand angetro f fen werde. Du wirst unter meinem Schutz stehen. Vertrau mir … «
»Ich glaube nicht, daß eine Horde plündernder
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