Nibelungen 08 - Der Ketzerfürst
Römerstraße. Es wurde schnell dunkel. Der Sturm war a b geflaut. Einige der Männer des Ebers hatten Fackeln entzündet.
Sie durchquerten ein Waldstück. Es war bedrückend still. Nur der Schnee knirschte leise unter ihren Stiefeln. Plötzlich geriet die Kolonne ins Stocken. Die vordersten Männer waren wieder auf Leichen gestoßen. Die meisten Toten waren ganz unter dem Schnee begraben. Diese Flüchtlinge hatten keine Karren und Pferde gehabt. Oder aber sie hatten sie schon früher auf ihrem Weg aufgeben müssen. Wo der Wind die Leichen teilweise fre i geweht hatte, konnte man sehen, wie sich die Sterbenden zue i nandergelegt hatten, um sich gegenseitig Wärme zu spenden.
Die Männer des Ebers redeten kaum. Nur wenige wagten es, die Toten zu plündern. Selbst die hartgesottenen Gesetzlosen waren von dem Anblick erschüttert.
Auch Volker vermied es, den Toten ins Gesicht zu sehen. Sie schienen zu lächeln. Ihre Lippen waren bis weit über die Zähne zurückgezogen, die Gesichter zu grotesken Grimassen erstarrt. Bisher hatte er geglaubt, die Hölle sei ein Meer aus Flammen, doch das war falsch. Sie war kalt. Das hier war die Hölle! Sie sollten zurück! Im Bergdorf waren sie sicher vor dem Tod. Hier draußen lauerte nur das Verderben. Von den Flüchtlingen lebte keiner mehr! Und wenn sie zu tief in die Berge vordrangen, dann würden vielleicht auch sie sterben. Ängstlich blickte der Spielmann zum dunklen Himmel. Bald würde der Sturm wi e der beginnen. Sie mußten zurück … Das Pochen in seinen Fi n gern wurde immer schlimmer. Er hatte Fieber. Seine Kleider waren von Schweiß durchnäßt. Bald würde die Kälte durch sie hindurchkriechen. Er dachte an das Märchen vom Feuervogel … an den warmen Sommertag, an dem der Märchenerzähler vor der Tafel des Königs gestanden hatte. Eine Ewigkeit schien seitdem vergangen und … Volker blickte auf. An der Spitze der Kolonne geschah etwas. Einige der Gesetzlosen hatte sich um einen etwas größeren Hügel im Schnee geschart.
Der Spielmann trat neben den Eber. Ihm war schwindelig. Er stützte sich mit einer Hand auf die Schulter des Ebers. Glühe n de Punkte tanzten vor seinen Augen. Volker mußte die Lider zusammenkneifen, bevor er wieder klar sehen konnte. Ein Mann und ein Frau lagen dicht neben dem Kadaver eines ve r endeten Pferdes.
»Was ist hier los?«
Der Eber hob einen Finger an die Lippen. »Leise. Hörst du nichts?«
Irgendwo im Wald brach ein Ast unter der Last des Schnees. Dann war es wieder still. Volker wollte schon einen Scherz über abergläubische Hinterwäldler machen, als auch er hörte, w o rauf die Gesetzlosen lauschen. Ein ersticktes Murmeln. Es war kein Tierlaut, doch klang es auch nicht menschlich.
»Was zum Teufel ist das?« keuchte der Eber.
»Du solltest den Namen des Versuchers an einem solchen Ort nicht so leichtfertig in den Mund nehmen.« Volker spürte einen eisigen Schauer seinen Rücken hinaufkriechen. Einige Männer des Ebers bekreuzigten sich hastig.
»Hurenkrätze! Ich laß mir doch von einem Geräusch keine Angst machen!« Er trat gegen den Kadaver des Pferdes und zuckte erschrocken zurück. Dort, wo er hingetreten hatte, schimmerte es rot unter dem Schnee. Alles war voller gefror e nem Blut.
»Bei allen Heiligen, was ist hier geschehen?« fragte einer der Räuber. »Haben sie sich gegenseitig umgebracht?«
»Drustan! Sieh du dir das mal an!« Der Eber winkte seinen e r fahrensten Fährtensucher heran, der etwas abseits der Gruppe über einem Toten kauerte, dem er den Mantel geöffnete hatte, um nach Wertsachen zu suchen.
Drustan war ein schweigsamer, hagerer Kerl, der Volker kaum bis zur Schulter reichte. Er trug einen Umhang, der ein Flickwerk aus allerlei Pelz war. Der Fährtensucher kniete sich neben das Pferd und wischte den Schnee zur Seite. Er tastete über den Kadaver. Dann zeigte er auf einen schmalen Schnitt am Hals des Pferdes. »Man hat es getötet. Es … « Mitten im Satz erstarrte der Fährtensucher. Wieder war das seltsame Geräusch zu hören. Diesmal klang es wie ersticktes Schreien.
Hektisch begann der Fährtensucher an dem Leichnam des Mannes zu zerren, der an das tote Pferd geschmiegt lag. »Los, helft mir, verflucht noch mal!«
Der Eber war der einzige, der auf seine Worte reagierte. Die anderen standen wie versteinert und starrten. Halb unter dem Mann begraben lag eine Frau mit langem, blondem Haar. Ihren Kleidern nach zu urteilen, mußte sie aus einer wohlhabenden Familie stammen. Sie trug einen
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