Nibelungen 08 - Der Ketzerfürst
Preis verbergen? Oder war es nur eine Strategie, um die Rebellen zu beunruhigen. Wenn dem so war, dann ging sein Plan auf, dachte Golo. Er war beunruhigt, und er hätte sofort fünf Jahre seines Lebens gegeben, wenn er nur wüßte, was Ri c char gerade plante. Der junge Ritter hatte den Eindruck, daß sich die Lage der Rebellen mit jedem Tag, den sie ungenutzt verstreichen ließen, verschlechterte. Doch was war zu tun?
Verzweifelt starrte Golo in die Finsternis. Der eisige Nach t wind biß ihm in die Wangen. Es hatte wieder begonnen zu schneien. Nie in seinem Leben hatte er einen Winter erlebt, in dem es so viel Schnee gegeben hatte. Die Verwehungen an der Stadtmauer waren zum Teil bis zu vier Schritt hoch, und es war notwendig, etliche Männer einzusetzen, um den Schnee zur Seite räumen zu lassen. Die kleinen Häuser in den Bergdörfern mußten völlig eingeschneit sein. Was es wohl für ein Gefühl sein mochte, irgendwo dort draußen in einer Hütte im Finst e ren zu sitzen und zu wissen, daß das ganze Dach unter Schnee begraben lag?
Golo fröstelte es. Er schloß den hölzernen Laden vor dem Fenster und ging zu seinem Lager zurück. Seine Füße schmer z ten vor Kälte. Einen Moment lang blickte er auf die zerknüllten Decken. Dann entschied er sich anders und trat zu der niedr i gen Tür, die zur Kammer nebenan führte. Dort hatte er Mech t hild untergebracht. Er nutzte sie den Tag über als Bote. So wunderte sich keiner, daß der junge bartlose Waffenknecht immer an seiner Seite war, und niemand konnte ihr Geheimnis entdecken.
Die Tür zu ihrer Kammer war nur angelehnt. Vorsichtig schob er sie auf und blickte auf ihr Lager. Fast jeden Abend kam er und sah ihr beim Schlafen zu. Sie hatte ihm noch immer nicht verziehen. Kein freundliches Wort war seit dem Zwischenfall in Treveris mehr über ihre Lippen gekommen. Das blasse Licht der Öllampe, das aus dem Zimmer nebenan in ihre Kammer fiel, reichte kaum aus, Golo die Züge des Mädchens erahnen zu lassen. Er lauschte auf ihr gleichmäßiges Atmen. Was konnte er nur tun, um ihr Vertrauen wiederzugewinnen? Er hatte sie hierhergebracht, obwohl sie eigentlich in Treveris hätte bleiben sollen, und schützte sie vor Entdeckung, so gut dies möglich war. Was sollte er denn noch tun? Er hatte versucht, ihr zu e r klären, wie er für sie empfand, doch sie hörte ihm nicht einmal zu.
Der junge Ritter seufzte. Ob das am Einfluß Volkers lag? Vie l leicht war es unmöglich, eine glückliche Liebe zu erleben, s o lange man mit dem Spielmann zog? Golo schüttelte verdrie ß lich den Kopf. Unsinn! Es mußte einen Weg geben, Mechthilds Vertrauen zurückzugewinnen. Er drehte sich um und verließ die kleine Kammer. Sorgfältig zog er die Tür zu. Seine Füße fühlten sich an wie zwei Eisklumpen. Golo ließ sich auf der Bettkante nieder und massierte seine Zehen. Er mußte vers u chen zu schlafen. Wenigstens für ein paar Stunden.
Volker war froh, die Mauern von Icorigium wiederzusehen. Zwei Wochen hatte ihn seine Reise in das Dorf des Ebers geko s tet. Doppelt so lange, wie er gedacht hatte. Er war ohnmächtig geworden, nachdem sie die ersten Flüchtlinge gefunden hatten. Er konnte sich fast an nichts mehr von dem erinnern, was an jenem Tag geschehen war. Angeblich hatte er sich sehr seltsam verhalten. Der Eber hatte eine Trage für Volker bauen lassen und vier seiner Leute mit ihm ins Dorf zurückgeschickt, wo er drei Tage lang mit schwerem Fieber darniederlag.
Volker hätte nicht mit hinausziehen dürfen, um nach den Flüchtlingen zu suchen. Das Wundfieber hatte noch in seinen Knochen gesteckt. Es hatte nicht mehr viel gefehlt, und diese Dummheit hätte ihn das Leben gekostet. Selbst jetzt fühlte er sich noch ganz schwach. Seine Hände waren immer noch ba n dagiert. Als das letzte Mal die Verbände gewechselt worden waren, hatte er seine Finger gesehen. Sie waren über und über mit grünbraunem Schorf bedeckt. Sicher würde er von diesem Winter Narben zurückbehalten. Seine makellosen schlanken Finger, die viele Frauen so sehr geliebt hatten … Die Finger e i nes Spielmanns … Ob sie jemals wieder so sein würden wie z u vor?
Er preßte die Lippen zusammen und blickte geradeaus. Von den Türmen der Stadt erklangen Signalhörner. Vor den Mauern konnte er dunkle Gestalten im Schnee sehen. Golo sorgte offe n bar dafür, daß die Männer trotz der bitteren Kälte ihre Waffe n übungen machten. Sein Ausflug hatte ihnen nur vierzig Mann eingebracht und die Bardin. Schon
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