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Nibelungengold 02 - Das Drachenlied

Titel: Nibelungengold 02 - Das Drachenlied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander (Kai Meyer) Nix
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Kolonne von Pferdewagen, auf die alle Eimer nach ihrer Entleerung geworfen wurden. In regelmäßigen Abständen machte sich einer der Karren auf den Weg ins Tal und brachte die Gefäße hinunter zum Fluß. So umging man die Notwendigkeit, eine zweite Menschenkette einzurichten, um die leeren Eimer zurück zum Ufer zu schaffen.
    Im Innenhof der Festung wimmelte es von Menschen. Im Schein zahlloser Feuerbecken gabelte sich die Sklavenkette in drei Stränge, die fächerförmig auseinanderführten. Sie endeten an drei merkwürdigen Holzkonstruktionen, die Mütterchen auf den ersten Blick für Brunnen hielt. Es waren riesige Seilwinden, gestützt von je vier Holzbalken, fast so hoch wie ein Haus. Unter ihnen klafften Löcher im Boden, in denen armdicke Seile verschwanden. Aus der Tiefe erklang der Lärm von Spitzhacken. Aus irgendwelchen Gründen wurden die Sklaven gezwungen, an diesen drei Stellen Schächte in den Fels zu treiben. Dabei wurden sie von oben permanent mit Wasser begossen, Eimer um Eimer.
    Mütterchen wandte sich an einen ihrer Bewacher. »Welchen Sinn hat es, das Wasser hierher zu schaffen, um es dann wieder hinab in die Brunnen zu gießen?«
    Statt einer Antwort hieb der Mann ihr die Hand ins Kreuz. Mütterchen ging mit einem dumpfen Stöhnen zu Boden. Sogleich wirbelte Löwenzahn herum, seine Faust traf einen der Bewacher unter den Rippen. Einen anderen schickte er mit einem kräftigen Tritt in den Schmutz. Ehe die anderen reagieren konnten, war er bereits bei Mütterchen und half ihr auf die Beine. Kaum hatte sie sich aufgerichtet, da fiel auch schon ein halbes Dutzend Krieger über Löwenzahn her und begrub ihn unter sich. Fäuste und Schwertknäufe hagelten auf den gefällten Riesen herab. Mütterchen blinzelte durch Tränenschleier zu dem hilflosen Freund hinüber, unfähig ihm beizustehen, als plötzlich eine Stimme über das Chaos hinwegschrie:
    »Haltet ein!«
    Augenblicklich ließen die Krieger von Löwenzahn ab. Als der Koloß unter ihnen zum Vorschein kam, war sein Gesicht voller Blut, die Lippen und das linke Auge fast zugeschwollen. Trotzdem gelang es ihm, sich auf die Füße zu stemmen. Er war zu stolz, vor seinen Gegnern im Dreck zu kriechen.
    Mütterchen blickte auf. An einem der unteren Turmfenster, zehn Schritte vom Boden entfernt, war eine Gestalt erschienen, ein fetter, unförmiger Kerl, der ein Nachtgewand und eine baumelnde Schlafmütze trug. Er war noch jung, kaum zwanzig Jahre, schätzte Mütterchen. Im flackernden Schein der Feuerbecken glänzte sein Gesicht vor Schweiß.
    Alle Gespräche und gebrüllten Befehle im Hof verstummten. Nur die Sklaven arbeiteten schweigend weiter und begossen ihre Leidensgenossen in den Schächten mit Wasser.
    »Ich will nicht, daß ihr ihn umbringt«, keifte der fette Junge am Fenster mit hoher Stimme. »Ich will, ich will, ich will es nicht! Ich bezahle nicht für tote Sklaven, ihr Kröten!« Er seufzte gekünstelt. »Hach, welch Glück, daß mein Schlaf so leicht und meine Augen so wachsam sind.«
    Der Anführer ihrer Bewacher salutierte widerwillig mit erhobenem Schwert zum Fenster hinauf, dann gab er leise Befehl, Löwenzahn und Mütterchen abzuführen. Der Fette warf noch einen mißtrauischen Blick in die Runde, dann zog er sich zurück. Als weißer Schemen verschwand er im dunklen Rechteck des Fensters, ein schwergewichtiges Nachtgespenst.
    Mütterchen wagte einen erneuten Vorstoß, beruhigt von der Tatsache, daß man sie nicht töten würde. »Ist das euer Herr?« fragte sie den Krieger, der sie eben geschlagen hatte.
    Erst sah es aus, als würde er abermals keine Antwort geben, dann aber schüttelte er unmerklich den Kopf. Seine Augen im Sehschlitz blickten stur an Mütterchen vorbei. »Unser Herr ist der Geweihte«, erklang es dumpf unter dem Helm.
    Sie wußte nicht, ob das als »ja« oder »nein« zu werten war, deshalb bohrte sie weiter: »Er« – sie deutete zum Fenster – »ist der Geweihte?«
    Noch ein Kopfschütteln. »Das war Graf Ugo. Aber du wirst den Geweihten noch kennenlernen. Er wird euch sehen wollen, wenn er von der Jagd heimkehrt.«
    »Wegen des Horns?«
    Der Krieger schwieg und stieß sie vorwärts.
    Was ging hier vor, verflucht? Wer war der Geweihte, und warum ritt er in dunkler Nacht zur Jagd? Was für eine Weihe war es, die ihm diesen Namen gegeben hatte? Und was Graf Ugo anging, so kannte sie in dieser Gegend nur einen, der so hieß und einen Adelstitel für sich beanspruchen konnte. Bislang hatte sie allerdings

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