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Nibelungenmord

Nibelungenmord

Titel: Nibelungenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merchant
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hatte, dass sie verschwunden war. Durch das Fenster offenbar.
    Dann hatte er ihre Handtasche im Schlafzimmer gesehen, und plötzlich hatte er gewusst, was sie getan hatte. Trotzdem sah er hinein. Fand ihr Handy und ihr Portemonnaie mit dem Ausweis und den Kreditkarten, und vor allem ihr Schminktäschchen. Ohne dieses Schminktäschchen wäre seine Mutter noch nicht einmal zum Briefkasten gegangen, das wusste er genau. Nirgends ging sie ohne das blöde Ding hin, das war einer der Gründe für seinen eigenen Lotterlook. Er hasste ihren Schminkwahn, in dem sie sich ständig neue, farbenfrohe Masken malte, um ihre Furcht vor dem endgültigen Verschwinden ihres Mannes zu übertünchen.
    Als er das Schminktäschchen sah, wusste er, wohin sie gegangen war. Dorthin, wo ihr Aussehen egal war. In den Rhein wahrscheinlich. Und er schmiss sich auf ihr Bett, vergrub den Kopf in ihrem Kissen und heulte Rotz und Wasser bei dem Gedanken, dass er ihr noch nicht einmal die Gelegenheit gegeben hatte, sich von ihm zu verabschieden.
    *
    Frenze hatte eine Zeichnung von dem mutmaßlichen Tatwerkzeug gemacht, auf die er offenbar sehr stolz war. Jan seufzte und wartete darauf, dass die Datei sich öffnete.
    »… diese winkligen Verletzungen verursacht hat«, sagte Frenze in sein Ohr. »Besonders wichtig ist der Griff, denn ohne Schwung passt das Verhältnis von der Stärke des Aufpralls und dem mutmaßlichen Gewicht des Gegenstands nicht. In meiner Zeichnung habe ich …«
    Als das Bild vor ihm auf dem Bildschirm erschien, hatte Jan einen Geistesblitz.
    »Ein Fahrradschloss«, sagte er mitten in Frenzes Ausführungen hinein. »Ist es ein Fahrradschloss?«
    »Was?«
    »Ein Bügelschloss. Ein großes, schweres Bügelschloss.«
    Frenze räusperte sich. »Das kann ich natürlich nicht sagen. Ich kann nur aufgrund des Musters der Verletzung …«
    »Könnte es ein Bügelschloss sein?«
    »Wenn ich mir dir Abplatzungen der Haut und die dazugehörigen Schädelverletzungen …«
    »Frenze!«
    Frenze seufzte. »Ja, es könnte sein.«
    Jan dachte an das blutbefleckte Werkzeug, das sie im Haus der Schleheck gefunden hatten. Es wäre zu schön gewesen. »Und das, was ich Ihnen reingereicht habe?«
    »Das Werkzeug mit den Blutflecken? Auf keinen Fall! Passt weder zu den Wundrändern noch zu dem Muster der Frakturen.«
    »Ich danke Ihnen, Frenze.«
    Er legte auf und betrachtete einen Moment das Telefon, ehe er aus der Tür trat und sich kopfschüttelnd den Weg durch die Schüler bahnte. Inzwischen hatte einer von ihnen den Getränkeautomat im dritten Stock entdeckt, und jetzt tranken sie Kaffee, Kakao und, als beides aus war, sogar die Hühnerbrühe, die das Ding produzierte. Feuchte Schlieren bedeckten inzwischen das graue Linoleum, und einige Jungs kickten mit den zerknüllten Bechern herum.
    Jan hatte sich geirrt. Und er war sich so verdammt sicher gewesen, dass er die Tatwaffe gefunden hatte. Auch wenn ihm noch nicht klar war, wie das Verschwinden von Margit Sippmeyer und der Mord an Valerie Koller zusammenhingen, irgendwie taten sie das, und das blutbefleckte Werkzeug hatte in ihm die Hoffnung aufflackern lassen, dass sich alles wunderbar leicht und plausibel aufklären würde. Schleheck, die fanatische Malerin, die nicht nur ihre Nebenbuhlerin, sondern auch Valerie Koller umgebracht hatte. Immerhin hatte auch Valerie Koller mit ihrem Geliebten telefoniert … Der Anruf. Darum musste er sich selbst kümmern, wenn Elena nicht bald wiederkam.
    Es war zu schade, dass sie aus der Schleheck nichts herausbekommen hatten! »Können Sie mir verraten, was das hier ist?«, hatte er sie gefragt und ihr die verräterischen Flecken gezeigt.
    Ausdruckslos hatte sie seinen Blick erwidert. »Sieht aus wie Blut, ist auch Blut«, hatte sie geantwortet.
    Ganz dicht war er dran gewesen. Zumindest hatte er das gedacht.
    Ein Fahrradschloss also.
    Reimann lauschte ohne sichtbare Regung Jans Erklärungen und rieb sich seine rötlichen Stoppeln. »Dann können wir ja Fahrradschlösser einsammeln«, war sein lakonischer Kommentar. »Sitzt Sippmeyer noch nebenan? Fangen wir bei ihm an.«
    »Der ist noch da.«
    »Was sagt er zu der Sache mit dem Telefonat?«
    »Ich hab ihn noch nicht gefragt. Höchste Zeit, das nachzuholen.«
    Reimann nickte. »Ist ja praktisch, dass der Mann uns einfach so ins Haus fällt. Das spart Zeit.«
    »Wirklich nett von Sippmeyer«, seufzte Jan. »Dann lass uns mal.«
    Erst als sie sich wieder durch den versifften Flur quälten, ging ihm auf, dass

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