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Nibelungenmord

Nibelungenmord

Titel: Nibelungenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merchant
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dringend.«
    »Ich habe aber keine Zeit.«
    »Das solltest du aber. Er sagt, es geht um die Tatwaffe. Er hatte eine Eingebung.«
    Frenzes Eingebungen waren genau das, was Jan noch gefehlt hatte. »Dann stell ihn durch.«
    *
    Nichts auf der Welt, dachte Sven, während er durch die Fensterhöhle in die langsam einbrechende Dunkelheit sah, nichts konnte schöner sein als eine schlafende Lara.
    Wie in einem Dornröschenschloss, hatte sie gesagt, und jetzt schlief sie so süß wie Dornröschen. Manchmal stockte ihr Atem kurz, um dann mit einem kleinen Schnaufen wieder einzusetzen. Er liebte dieses Schnaufen. »Du hast wieder so geschnarcht«, hatte seine Mutter am Frühstückstisch manchmal empört zu seinem Vater gesagt, ganz so, als sei das eine unverschämte Rücksichtslosigkeit, etwas, das er nur machte, um sie zu ärgern. Das war natürlich, bevor diese andere Frau in sein Leben getreten war und seine Mutter dazu gebracht hatte, jede Kritik an ihm hinunterzuschlucken und ihn zu umwerben, als sei er ein verdammter Dauergast in einem Hotel, das ohne ihn zum Bankrott verurteilt war.
    Und jetzt, da Sven zum ersten Mal in seinem Leben jemanden schnarchen hörte, ging ihm auf, dass schon damals alles falsch gewesen sein musste bei seinen Eltern. Denn gab es etwas Schöneres, als den Menschen, den man liebte, schnarchen zu hören?
    Er dachte daran, wie Lara aufmerksam seiner Bilbo-Geschichte gelauscht hatte. Du bist echt toll, hatte sie zu ihm gesagt. Und tapfer. Dir so was auszudenken, und das in dieser schwierigen Situation. Mit der schwierigen Situation hatte sie natürlich ihre beiden verschwundenen Mütter gemeint. Und obwohl sie schon merklich müde geworden war, hatte sie leise zu weinen begonnen, und sein Herz hatte so einen kleinen Hüpfer gemacht vor Freude darüber, dass er jetzt wieder einen Grund hatte, sie zu trösten und an ihren Haaren zu riechen.
    Und insgeheim fand er diese Idee, dass seine Mutter mit dem Ring verschwunden war, auf jeden Fall tausendmal besser als die Wahrheit.
    Er war aufgewacht, als sie in sein Zimmer getreten war. Eigentlich schloss er routinemäßig ab. Tagsüber, damit Cecilia beim Putzen nicht sein Dope fand oder was er sonst so rumliegen ließ, wenn er zugedröhnt war und nicht aufpasste. Abends schloss er ab, damit er von nächtlichen Mutterbesuchen verschont blieb. Das hatte auch geholfen, seit fast zwei Jahren war sie nachts nicht mehr in sein Zimmer gekommen. Aber diesmal war seine Tür offen gewesen.
    Er hatte seine Mutter sofort erkannt, an den tiefen Schluchzern, die sie beim Heulen machte. »Sven«, hatte sie leise geflüstert, »Sven, bist du wach?« Er hatte die Augen zusammengekniffen, und am liebsten hätte er sich die Finger in die Ohren gesteckt, aber diese Bewegung hätte ihr verraten, dass er nicht schlief, und dann hätte er sich ihr Geheule anhören müssen und die verrückten Pläne, die sie wieder hatte, Pläne, die er längst alle kannte. Wir ziehen weg. Wir wandern aus. Wir schmeißen ihn raus, soll er doch zu seiner Geliebten ziehen. Ich ziehe aus und wollte nur mal tschüss sagen. Ich bringe mich um und wollte nur mal tschüss sagen.
    All das hatte er in den letzten Jahren wieder und wieder in wechselnden Kombinationen gehört, ehe er herausgefunden hatte, dass Haschisch und Tabletten seine Ohren verschlossen. Ehe er aufgehört hatte, mit seinen Eltern zu reden. Es nützte eh nichts. Egal, ob er ihr beipflichtete – ja, Mama, lass uns weggehen von hier, sei nicht traurig, ich bin dabei, ich lasse dich nicht allein – oder ihr widersprach – nein, Mama, es hassen dich nicht alle, ich hab dich lieb, Mama –, es war alles egal. Am nächsten Tag war sie entweder wieder glücklich versöhnt, und er schämte sich vor seinem Vater für die Fluchtpläne, die er gemeinsam mit ihr ausgeheckt hatte, oder …
    Da war wieder ein Schnaufen von Lara. Wie gut, dass es Lara gab!
    Wenn er doch nur in dieser Nacht sofort zu Lara gelaufen wäre, statt durch das Haus zu rennen und seine Mutter zu suchen! Nachdem sie die Tür wieder geschlossen hatte, wollte er unbedingt schnell einschlafen, weil doch am nächsten Tag die Matheklausur anstand, aber es gelang ihm nicht. Ständig sah er das verheulte Gesicht seiner Mutter vor sich und überlegte, weswegen sie nach so langer Zeit wieder nachts in sein Zimmer gekommen war. Und schließlich hatte er es nicht mehr ausgehalten und war aufgestanden. Das ganze Haus hatte er abgesucht, in jedes Zimmer geguckt, bis er begriffen

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