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Nibelungenmord

Nibelungenmord

Titel: Nibelungenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merchant
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Wo?
    Einmal, vor einigen Monaten. Sie habe außerdem ein Kleid gestohlen, das sie für ihr Bild brauchte.
    Wann war sie das letzte Mal da gewesen, im Hause der Sippmeyers?
    Gestern, zusammen mit Michael.
    Ob sie da etwas habe mitgehen lassen?
    Nein, das habe sie schon in der Nacht davor gemacht. Sie habe eine künstlerische Krise gehabt und daher unbedingt etwas von Margit Sippmeyer gebraucht, das sie inspiriert. Sie habe einige Toilettenartikel mitgenommen und ein seidenes Nachthemd.
    Das ist es, hatte Jan gedacht, genau darum geht es. GEBRAUCHT, das war das Stichwort. Sie braucht Margit Sippmeyer für ihr krankes Gekleckse. Toilettenartikel und Nachthemd, so ein Quatsch! Ihr Haar, ihr Blut, wer weiß was noch? Die ganze Frau hat sie gebraucht. Sie hat es praktisch zugegeben.
    Mehr aber war nicht aus der Schleheck herauszubekommen.
    Vielleicht war nur ein bisschen mehr Druck nötig. Ich mache gleich weiter, dachte Jan.
    Reimann inhalierte gierig, er hatte sich die zweite Zigarette angesteckt, kaum dass er die erste ausgedrückt hatte. Er blies grauweiße Wölkchen in die frostige Luft, und Jan beneidete ihn um die Entspannung, die ihm das zu bringen schien.
    »Hier seid ihr!« Die Balkontür öffnete sich, und heraus trat Nina, gefolgt von einem Stimmengetöse, das erst verstummte, als sie die Tür hinter sich zuzog.
    »Puh! Kalt! Ich hab euch schon überall gesucht.«
    »Was ist denn da drinnen los?«
    »Was meinst du?«
    »Der Lärm.«
    Nina verdrehte die Augen. »Schüler. Die Direktorin hat Elenas Bitte um Unterstützung an ihre Schüler weitergegeben, und jetzt rennen die uns die Bude ein.«
    »Weil sie bei der Verbrecherjagd helfen und ›Tatort‹ spielen wollen?«
    »Nee«, sagte Nina und schielte durch die Tür in den Flur. »Eher, weil sie dafür vom Nachmittagsunterricht befreit werden. Himmel, da hat sich gerade so ein Teenie im Flur eine Zigarette angezündet. Das geht natürlich nicht, gleich geht der Rauchmelder los.« Sie öffnete die Balkontür, wandte sich dann aber noch einmal um. »Und, Jan, da ist Michael Sippmeyer für dich. Er wartet in Raum 3. Er sagt, es sei sehr wichtig. Ist das wegen dieses Telefongesprächs?«
    »Das weiß er noch gar nicht«, sagte Jan und zögerte kurz. Das mutmaßliche Gespräch zwischen Valerie Koller und Sippmeyer hatte er beinahe vergessen. »Elena soll ihn übernehmen, ich vernehme die Schleheck.«
    »Elena ist bei Koller. Dessen Tochter ist doch verschwunden.«
    Jan stöhnte auf. »Dann muss er warten.« Er würde Romina Schleheck ausquetschen, bis er alles wusste, was er wissen wollte. Er würde sie noch einmal mit dem blutigen Werkzeug konfrontieren.
    »Hast du das Werkzeug aus dem Haus der Schleheck schon ins Labor gebracht?«, fragte er.
    »Ja, hab ich. Und Frenze will dich sprechen, du sollst zu ihm fahren oder ihn anrufen. Mist, diese verdammten Schüler …« Mit einem Aufschrei rannte Nina in den Flur, und nach kurzem Zögern folgten Jan und Reimann ihr.
    Etwa zwanzig Jugendliche säumten den Gang, spielten mit ihren piepsenden Handys, schnatterten durcheinander. Die arme Sünderin, die Nina beim Rauchen erwischt hatte, zertrat mit trotzigem Gesicht ihre Kippe auf dem grauen Linoleum.
    Fluchtartig öffnete Jan die erstbeste Tür. Es war Raum 3.
    Michael Sippmeyer sah ihm entgegen mit dem Ausdruck eines Märtyrers.
    »Ich bin gekommen, um eine Aussage zu machen.«
    *
    »Eine Dame verschwindet«, sagte Edith zu ihrer Teetasse und sah zu, wie sich der Dampf über der bernsteinfarbenen Flüssigkeit kräuselte.
    Es gab so vieles, was sie bedenken musste. Die Schmerztabletten, die der Arzt ihr verschrieben hatte, machten sie dumpf und wattig im Kopf, deswegen hatte sie sie weggelassen. Als Ergebnis strahlte der Schmerz von ihrer rechten Hüfte zum geprellten Ellbogen und wieder zurück, und wenn sie sich auch nur ein wenig bewegte, zuckte es grell durch ihren Oberkörper und erinnerte sie daran, dass ihre achtzigjährige Rippe nur bei sanfter Behandlung heilen würde.
    Also möglichst wenig bewegen. Zum Glück musste sie das nicht. Alles, was sie zu tun hatte, war Denken. Sie war sicher, dass alle wesentlichen Informationen in ihrem Kopf versammelt waren, es galt nur noch, diese in die richtige Ordnung zu bringen.
    Eine Dame verschwindet.
    Irgendwie klang es nach Agatha Christie, obwohl sie wusste, dass das Buch von Ethel Lina White stammte. Edith erinnerte sich an die Romanverfilmung von Hitchcock, in der eine große Verschwörung mit Geheimagenten aufgedeckt

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