Nibelungenmord
Sippmeyer vielleicht gar nicht den edlen Ritter hatte spielen wollen, als er Romina zu ihrem Alibi verholfen hatte. Vielleicht hatte er nur eines für sich selbst gebraucht.
Weder Jan noch Reimann hatten mit der Überraschung gerechnet, die sie in Raum 3 erwartete. Sippmeyer brach zusammen.
Zuerst sah es so aus, als ob das Gespräch nicht sonderlich ergiebig verlaufen sollte.
Nein, er kenne Valerie Koller nicht.
Ja, da sei ein Anruf auf dem Anrufbeantworter gewesen, den er nicht habe zuordnen können. Schweigen, dann habe jemand aufgelegt.
Selbstverständlich habe er das gelöscht, man habe ohnehin nichts verstanden.
Dann stellte Reimann die entscheidende Frage. »Sie sind ja begeisterter Radfahrer, Herr Sippmeyer, wie uns Ihre Nachbarn erzählt haben. Haben Sie denn auch ein gutes Schloss dafür?«
Sippmeyer zuckte die Achseln. »Natürlich.«
»So ein Schloss ist ja manchmal ganz praktisch«, sagte Reimann mit gefährlich ruhiger Stimme. »Damit kann man sogar töten.«
Bei dieser Frage passierte es. Erst sah Sippmeyer hoch in die Luft, als stünde dort etwas geschrieben, das außer ihm niemand lesen konnte, dann arbeitete etwas in ihm, sekundenlang war sein schönes Gesicht wie erstarrt, dann fiel es ein und wurde erst bleich, dann schlaff und kraftlos. Eben noch war er Jan als strahlender Held erschienen, jetzt war er nur noch ein beliebiges, austauschbares Bündel Mensch, das dem Druck der Befragung nicht hatte standhalten können. Nein, dachte Jan, nicht dem Druck, von Druck konnte eigentlich keine Rede sein, bis zu diesem Zeitpunkt hatte er Sippmeyer nicht ernsthaft als Täter in Betracht gezogen und Reimann vermutlich auch nicht.
Sippmeyer klappte förmlich zusammen. Dolchstoß von hinten, dachte Jan. Ein einziger Dolchstoß, und aus war es mit dem Drachentöter. Oder war es ein Speer gewesen? Ein Schwert? Hagen von Tronje? Auf jeden Fall hatte es in der Sage etwas mit Verrat zu tun, anders als in der Realität.
»Ich habe Valerie Koller umgebracht«, sagte Sippmeyer klar und deutlich, dann schloss er den Mund, als ob diese Worte seine letzten sein sollten.
Reimann und Jan wechselten überraschte Blicke.
Reimann fasste sich als Erster und griff nach der Akte.
»Blutungen oberhalb und unterhalb der harten Hirnhaut.« In rascher Folge legte er die Fotografien vor Sippmeyer auf den Tisch, während Jan mit verschränkten Armen neben ihm stand. »Frakturen im Schläfenbereich. Sie ist erst ohnmächtig geworden. Hat sie sich vorher gewehrt? Hat sie geschrien?«
Sippmeyer sagte nichts. Er hatte sich abgewandt, als könne er den Anblick nicht ertragen.
Jan konnte es ihm nachfühlen. Die Fotos schrien ihn förmlich an, grell ausgeleuchtete Zeugnisse von Wut und Zerstörung. Er hätte selbst gern den Blick abgewendet, aber er zwang sich, es nicht zu tun.
»Wundränder und Frakturen passen exakt zu einem Fahrradschloss. Die Kollegen werden sich gleich auf den Weg machen, um Ihr Rad zu beschlagnahmen.«
»Das ist nicht nötig.«
»Geben Sie zu, Valerie Koller erschlagen zu haben?«
»Das habe ich doch bereits«, sagte Sippmeyer. Er hielt den Blick gesenkt.
»Warum?«
Sippmeyer schwieg. Er legte seine Hände nebeneinander auf den Tisch und betrachtete sie so genau, als sähe er sie zum ersten Mal.
»Hatten Sie eine Beziehung zu Valerie Koller?«
»Nein.«
»Hat Valerie Koller Ihnen Ihrer Meinung nach Schaden zugefügt?«
»Nein.«
»Was dann?«
Sippmeyer schwieg. Sag schon, dachte Jan.
»Stand sie Ihnen irgendwie im Weg?«
»Ja«, sagte Sippmeyer. Seine Stimme klang unsicher.
»Warum?«
»Meine Frau …« Sippmeyer verstummte.
»Was ist mit Ihrer Frau?«, fragte Reimann. Und dann fragte er weiter.
Wo ist sie?
Was haben Sie mit ihr gemacht?
In welcher Beziehung stand Margit zu Valerie Koller?
Was war mit dem Anruf?
Aber Michael Sippmeyer sagte kein weiteres Wort mehr als die wenigen, die es brauchte, um nach einem Anwalt zu verlangen.
Als der Tischapparat schrillte, ging Reimann dran und reichte dann den Hörer an Jan weiter. Es war Nina.
»Ein Anruf für dich, Jan. Sie sagt, sie sei deine Großmutter. Offenbar hat sie Margit Sippmeyer gefunden.«
*
Es waren vierzehn Tabletten. Vierzehn Tabletten, die er für den Fall mitgenommen hatte, dass er alldem ein Ende bereiten musste. Dabei hatte er an sich selbst gedacht. Er hatte nicht gedacht, dass er sie für Lara brauchen würde.
Lara schlief immer noch. Ihr Gesicht hatte sich gerötet, und das beruhigte ihn, denn wahrscheinlich
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