Nibelungenmord
sie Mama gefunden haben. Soll ich dich irgendwo abholen?«
*
»Die Spatzen pfeifen es von den Dächern!« So erbost stellte Herta Weiler ihre Tasse ab, dass der Tee über den Porzellanrand schwappte und neben der Untertasse braune Spritzer auf der weißen Tischdecke hinterließ.
Es war ein kräftiger, dunkler Assam, der sich nicht leicht entfernen lassen würde, und für einen Augenblick ärgerte sich Edith darüber, dass ihre Besucherin derart unbeherrscht war und sich ganz ihrer Empörung hingab.
Jan war Edith für den Anruf aus der Bäckerei dankbar gewesen, und sie hatte dies erfreut zur Kenntnis genommen. Trotzdem war ihre Stimmung nicht ungetrübt gewesen, als sie mit ihrem Kuchen die Hauptstraße entlangging. Es war doch zu ärgerlich, dass sie vom weiteren Verlauf der Ereignisse ausgeschlossen war. Nichts blieb ihr übrig, als sich auf einen langen Abend gefasst zu machen, an dem sie nicht etwa zeitig ins Bett gehen und noch einige Seiten schmökern, sondern auf Jan warten würde, in gespannter Erwartung auf seinen Bericht. Und so lange, wie der Junge manchmal arbeitete, mochte es sein, dass er erst kam, wenn sie längst auf dem Sofa eingeschlafen war, und dann wäre ihr Nacken am nächsten Tag furchtbar steif.
Mit solch trüben Gedanken war Edith durch Königswinter geschlurft, als sie Herta traf. Die beiden Damen kannten sich vom Kirchenchor, und Edith hatte bei ihrem Anblick ein ganz unrühmliches Bedürfnis nach ein wenig Klatsch und Ablenkung durchzuckt. Und nachdem die andere sich zuerst angemessen geziert hatte, war sie Edith in die Wohnung gefolgt, wo Edith in aller Eile das gute Blaublüten-Geschirr aus dem Schrank geholt und einige Schokoladenplätzchen ansprechend arrangiert hatte.
»Du hast es ja so schön!« Mit Wohlgefallen sah Herta sich im Wohnzimmer um. »Es ist freilich sehr viel Platz für eine alleinstehende Frau.«
Aha, dachte Edith. Offenbar hatte die Nachricht, dass Jan bei ihr eingezogen war, bereits die Runde gemacht. Deswegen also hatte Herta sie so überschwenglich begrüßt. Da auch Edith ein konkretes Anliegen zu der Einladung bewogen hatte, störte sie diese Erkenntnis nicht. »Stell dir vor, ich wohne gerade gar nicht allein hier. Mein Enkelsohn ist vorübergehend hier eingezogen. Er bleibt nur so lange, bis seine neue Wohnung fertig renoviert ist. Er hat etwas in der Nähe des Arbeitnehmerzentrums gefunden, nett, aber in einem furchtbaren Zustand. Es kann bis Neujahr dauern, ehe alles fertig ist.«
»Direkt am Rhein, wie hübsch.« Hertas Augenbrauen schossen in die Höhe, und Edith ahnte die nächste Frage.
Sie nickte und nahm noch einen Bissen von der Torte.
Hertas lauernder Blick verfolgte jede Bewegung. »Hat er nicht vor kurzem erst geheiratet? Du hast gar nichts von der Feier erzählt.«
»Leider gab es keine Feier.«
»Las Vegas?«
»Sie haben sie abgesagt.«
»Oh.«
»Er hat sich von ihr getrennt. Oder sie sich von ihm, man mag da ja nicht so nachfragen.«
»Das ist wahr. Die jungen Leute sind da heutzutage ganz anders. Man kann es nur falsch machen, wenn man fragt.«
Edith nickte und wappnete sich für die nächste Frage. Ihr Enkel würde den Übergang zu dem wirklich interessanten Thema sehr leicht machen.
»Was macht er noch … War er nicht bei der Polizei?«
»Er ist Kriminalkommissar. Hier vor Ort, deswegen ist er auch hierher gezogen.«
»Er ist …« Herta riss die Augen auf, hinter ihrer Stirn arbeitete es. »Hat er etwas mit dem Verschwinden von Frau Sippmeyer zu tun?«
»Zu tun, nun ja …« Edith rührte ein wenig in ihrer Tasse. »Er darf mir natürlich nichts erzählen. Berufsgeheimnis. Aber ich denke schon, dass er damit befasst ist.«
»Ich bin mit der Familie nicht näher bekannt, deswegen war ich nicht eingeladen. Aber eine Freundin aus dem Chor arbeitet dort. Es muss sie entsetzlich mitgenommen haben.«
»Wer denn?« Edith ging jeden Mittwoch zur Chorprobe. Da ihr Sopran noch nie besonders rein gewesen war und seit einigen Jahren erheblich zitterte, gehörte sie nicht zu jenen, die regelmäßig auf Hochzeiten, Jubiläen oder in der Kirche sangen. Manchmal wurde sie als Verstärkung hinzugebeten, wenn mehrere Mitglieder ausfielen, doch eigentlich hatte sie außer dem Mittwochstermin nicht viel mit den anderen zu tun.
»Cecilia Thomas. So eine Dunkle, Mitte fünfzig.«
Edith erinnerte sich. Eine schweigsame, tüchtige Frau, die seit längerem nicht mehr zu den Mittwochsterminen erschienen war.
»Singt sie denn noch?«
»O
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