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Nibelungenmord

Nibelungenmord

Titel: Nibelungenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merchant
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bin, soll ich in ein Altenheim.« Ihre Stimme zitterte ein bisschen, aber das kam vielleicht auch vom Wein.
    »Hat sie das so gesagt?«
    »Gott bewahre! Natürlich schiebt sie Sorge vor, mir könnte etwas passieren. Und allein wäre ich dann auch nicht, meint sie.«
    »Und stimmt das nicht?«
    »Nein! Mir geht es ausgezeichnet hier. Ich habe meine Freunde und Nachbarn und die Mieter, die ein Auge auf mich haben.« Edith trank ihr Weinglas so hastig leer, als könne sie damit ihr Wohlbefinden bezeugen.
    »Und wenn es dir mal schlechter geht?«
    »Solange ich meinen Kaffee noch selbst kochen kann, bleibe ich hier!«
    Und wenn du das einmal nicht mehr kannst, was dann, wollte er fragen, aber er tat es nicht. Zu deutlich hatte sie jedes Eingeständnis von Schwäche verweigert.
    Jan fühlte sich unbehaglich.
    Er hatte seine Großmutter in den letzten Jahren nur ein-, zweimal im Jahr für einen Nachmittag gesehen, aber er konnte sich nicht erinnern, dass sie je so zerbrechlich gewirkt hatte wie jetzt. Vielleicht hatte seine Mutter das ähnlich empfunden. Er hatte lange nicht mit ihr gesprochen. Was, wenn sie sich einfach nur Sorgen macht, dachte er. Doch er sagte nichts, um den Abend nicht zu verderben.
    Edith griff entschlossen zur Flasche und schenkte sich noch ein großzügig bemessenes Glas ein. Sie trank einen Schluck und strahlte ihn an, offenbar fest entschlossen, das Thema zu wechseln.
    »Ich finde das großartig, es ist wie in einem Kriminalroman. Eine Dame ist verschwunden, keiner weiß, wohin, und eine andere ist ermordet worden, die von niemandem vermisst wird. Wie spannend! Und du sitzt bei mir zum Abendessen, ganz wie früher. Was für ein wunderschöner Abend, Jan!«
    Und sie griff mit ihren knotigen Händen nach seiner Rechten und drückte sie fest.

Der zweite Tag
Er druhtes an daz bette, daz si vil lûte erschrê;
ir tâten sîne krefte harte grœzlîchen wê.
Dô gréif sî zir sîten, dâ si den porten vant,
unt wolte in hân gebunden. dô werte ez sô sîn hant,
daz ir diu lit erkrachten unt ouch al der lîp.
(…)
Si sprach: künec edele, du solt mich leben lân!
ez wirt vil wol versüenet, swaz ich dir hân getân.
ich gewér mich nimmer mêre der edelen minne dîn.
ich hân daz wol erfunden, daz du kanst frouwen meister sîn.
 
Er drückte sie an das Bett, so dass sie aufschrie,
und ein furchtbarer Schmerz durchfuhr sie.
Sie griff nach dem Gürtel, den sie um die Hüften trug,
und wollte ihn fesseln. Er aber wehrte sich,
so dass ihr Leib und Glieder krachten.
(…)
Sie sagte: »Edler König, lasst mir mein Leben!
Ich will wiedergutmachen, was ich dir angetan habe.
Niemals mehr will ich mich deiner Liebe widersetzen,
denn nun weiß ich, wie du eine Frau bezwingen kannst.«
 
 
    D er nahende Tag malte die Konturen des Siebengebirges bereits mit kräftigen purpurnen Strichen ins Dunkel, als Romina erwachte. Im Zimmer war es noch stockfinster. Automatisch streckte sie die Hand aus und griff wie jeden Morgen neben sich. Sie lächelte, als sie den warmen Körper spürte. Michael würde schlafen, bis sie ihn weckte, doch bis dahin hatte sie einiges zu tun.
    Seit Jahren schon hatte sie Vorhänge und Jalousien aus ihrem Schlafzimmer verbannt. Nichts sollte den Tag aussperren, nichts sie am Aufwachen hindern. Die frühen Morgenstunden gehörten ihr allein. Dann war die Konzentration am höchsten. Jahrelange Gewohnheit weckte sie meist vor Sonnenaufgang.
    Früher hatte sie bei weit geöffneten Fenstern meditiert, in die schwindende Schwärze der Nacht hinein. Das war lange her. Inzwischen führte sie ein beinahe bürgerliches Leben. Sie versorgte ihren Kater. Sie hielt die Öffnungszeiten ihres Ladens ein. Sie wickelte die Einkäufe ihrer Kunden lächelnd in Seidenpapier und wünschte ihnen einen schönen Tag. Sie war alt geworden, erwachsen. Wie jeder Hinz und Kunz. Oder wie jeder Schmitz und Pütz, wie die Leute hier im Rheinland hießen.
    Die vergangene Nacht durchbrach diese Alltagsroutine. Zärtlich ließ sie ihre Hand auf Michaels muskulöser Schulter ruhen, spürte, wie sie sich gleichmäßig hob und senkte. Vorsichtig strich sie ihm durch das Haar. Sie liebte seine immer noch blonden Haare. Sie waren das Erste gewesen, was ihr ins Auge gesprungen war, damals, bei dieser Grillparty, auf die man sie eingeladen hatte. Als pflichtbewusster Hausherr hatte er ungeachtet etlicher bezahlter Helfer in dieser albernen Schürze hinter dem riesigen Grill gestanden, und die schräg einfallenden Sonnenstrahlen

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