Nibelungenmord
Kollegin.«
»Tschüss, Jan«, sagte sie.
Er sah ihr nach, wie sie mit großen, selbstsicheren Schritten im Bahnhof verschwand.
Angst vor Leichen, dachte er. Wenn es doch so einfach wäre.
*
Kaminfeuer wirkte Wunder. Es reinigte die Luft, heilte die Wunden des Tages, vielleicht verbrannte es auch einfach alles, was nicht in dieses Häuschen gehörte.
Jetzt, da sie mit einem Teller dampfender Suppe auf dem selbstgewebten Teppich vor ihrem Kamin saß, war die Furcht von vorhin nur eine bereits verblassende Erinnerung.
Romina griff nach der Flasche mit dem Quittenschnaps und schenkte sich ein ordentliches Glas davon ein. Es gab nichts Besseres, um sie nach einem Tag wie diesem wieder aufzubauen. Ein Tag, an dem Michael wieder einmal alles unternommen hatte, um der Welt zu beweisen, dass ihn nichts mit Romina Schleheck verband. Es tat weh. Und das nicht einmal deswegen, weil es ihm offenbar egal war, dass die Polizei sie zu den Verdächtigen zählte, bloß weil irgendjemand geklatscht hatte. Sondern wegen der zahllosen Gespräche, die sie über dieses Thema bereits geführt hatten. Egal, was Michael ihr unter der Bettdecke zuflüstern mochte, vor der Polizei würde er tun, als sei sie eine Fremde.
Bei unzähligen Gelegenheiten hatten sie darüber geredet. »Es weiß doch ohnehin jeder. Diese Stadt ist ein Dorf, Michael.«
Michael, der hartnäckig den Kopf schüttelte. »Margit würde es nicht verkraften. Sie ahnt nichts. Und sie ist so labil zurzeit. Und Sven, wenn er …«
Sven. Jedes Gespräch endete mit Sven.
Im Kamin barst mit lautem Knacken ein Holzscheit.
»Genug davon«, sagte sie zu Tomte. Der graugetigerte Kater sah sie ausdruckslos an und gähnte. Romina streckte die Hand nach ihm aus und gab einen lockenden Laut von sich. Mit einem Satz war er bei ihr, stieß seinen Kopf in ihre Handfläche und begann zu schnurren.
Kaminfeuer und eine schnurrende Katze, dachte Romina. Mehr braucht kein Mensch. Nicht hier.
Romina liebte dieses Haus. Es lag eigentlich zu weit vom Zentrum entfernt. Sie versuchte, die Strecke sooft es ging mit dem Fahrrad zurückzulegen, und auf dem Nachhauseweg, wenn sie die Steigung des Berges vor und den langen Tag hinter sich hatte, wünschte sie sich im Winter manchmal, sie hätte auf den Rat ihrer Freundin Anne gehört und sich etwas in der Nähe des Ladens gesucht. Sobald sie aber den spitzen Giebel ihres kleinen Fachwerkhäuschens zwischen den Bäumen aufblitzen sah und dann, beim Näherkommen, die einzelnen Kohlstrünke in ihrem winterlich kahlen Gemüsegarten erkannte und Tomte, der auf seinem Platz auf der Fensterbank lag und nach ihr Ausschau hielt, dann wusste sie wieder, warum sie hier lebte.
Es war eine Ironie des Schicksals, dass sie das Haus ausgerechnet ihrem Vater zu verdanken hatte. Sie hatte ihren Vater gehasst, immer schon. Vielleicht hatte das schlechte Gewissen über diese Gefühle sie bewogen, sich für seine Krankenpflege derart aufzuopfern. Sechs quälende Jahre hatten sie miteinander verbracht, in denen er ihr die ganze Verbitterung über sein unwürdiges Ende ins Gesicht spie, jeden Tag, jede Stunde, mit jedem Wort. Es war jetzt vier Jahre her, dass er gestorben war und damit den Alptraum für beide beendet hatte. Die Testamentseröffnung war ein Schock gewesen. Sicher, beinahe dreihunderttausend Euro waren ein Grund zur Freude, eigentlich. Aber eben nur eigentlich. Ein unverhoffter Geldsegen mochte Erben entzücken, die aus der Ferne Ansichtskarten und Wäschepakete geschickt und sich an Feiertagen hatten blicken lassen. Als Romina von dem Geld erfahren hatte, mit dem spielend ein Heer von Krankenschwestern hätte bezahlt werden können, die ihr ohne schlechtes Gewissen die Freiheit geschenkt hätten, war nichts als Wut in ihr aufgestiegen, hell und schneidend.
Doch dann hatte sie an das Häuschen mit dem »Zu verkaufen«-Schild gedacht, das ihr bei einem Wochenendausflug zum Kloster Heisterbach aufgefallen war. Das Geld hatte gerade eben für Kauf und Renovierung gereicht. Für den regelmäßigen Unterhalt hatte sie den Laden eröffnet und beschlossen, sich ihrer neuen Heimatstadt Königswinter anzupassen und sich auf Tourismus einzustellen. Meist war sie halbwegs zufrieden mit ihrem Los. Zumindest dann, wenn sie nicht an früher dachte und an die Träume, die sie einmal gehabt hatte.
Plötzlich klingelte es, und Romina schrak zusammen. Es war so weit. Sie ging zur Tür und öffnete.
Der gutgekleidete Mann, der sorgfältig seinen Regenschirm
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