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Nibelungenmord

Nibelungenmord

Titel: Nibelungenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merchant
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Augen fahren können. Seine zukünftige Wohnung lag im Nachbarort Dollendorf, nur wenige Gehminuten vom Rhein entfernt, und immer, wenn er diesen Weg fuhr, dachte Jan darüber nach, ob er ohne Nicoletta überhaupt hier einziehen wollte. Nun, es sah so als, als würde die satte Maklercourtage ihm die Entscheidung abnehmen. Denn kein Mensch auf der Welt würde zweitausend Euro für die Vermittlung einer Wohnung bezahlen und sie dann nicht beziehen. Nicht einmal er.
    Die Renovierung schritt quälend langsam voran. Jedes Mal, wenn ihm einer der Handwerker die Tür öffnete, sah Jan hoffnungsvoll über seine Schulter in die kahle Höhle aus Plastikplanen und Rohputz und hoffte inständig, dass sein Gefühl beim nächsten Besuch ein anderes sein würde. Ein warmes. Ein heimeliges. Nach all dem Geld, das er dem Vermieter hatte drauflegen müssen, um Fliesen und Teppich seiner Wahl zu bekommen, musste er einfach zufrieden sein. Genau genommen hatte Nicoletta die meisten Entscheidungen getroffen.
    Nur nicht die Wahl des Teppichs. Und der Teppich war gestern verlegt worden.
    Der Teppich war beinahe schwarz. Er changierte wie das Fell einer Kartäuserkatze. Zuvor hatten sie sich einträchtig für ein bräunliches Bordeaux entschieden, ein sehr teures Modell, und der Verkäufer hatte ein zufriedenes Gesicht gemacht. Ein gutsituiertes junges Paar, das sich schnell einig war und wenig Beratungszeit in Anspruch genommen hatte.
    Beim Hinausgehen hatte Jans Blick dann das kartäuserkatzenfarbene Auslegemuster gestreift, und plötzlich hatte er an die Katze denken müssen, kurz und bedauernd. Die Katze war beinahe das Einzige aus der Zeit in der Friedrichstraße, woran er sich erinnern konnte. Zwei Jahre hatte er mit seiner Mutter in Aachen gelebt. Das Haus war klein, und die Jungs in seiner Klasse sprachen über nichts als Fußball, aber trotzdem hatte Jan sich heimisch gefühlt, während seine Mutter sich als Lateinlehrerin an einer Privatschule versuchte, einer von den wenigen Jobs, die es für fanatische Altphilologen wie Henny gab. Die Katze hatte älteren Nachbarn gehört, die viel auf Reisen waren. Daher stand sie oft mit lautem Miau an der Straße und bettelte um Futter. Ihr Name war Isis, und sie war taub. Wenn das Licht in ihr Fell fuhr, schlug die Farbe von einem irisierenden Silber zu einem satten Anthrazit um.
    Das also war die Friedrichstraße gewesen. Es hätte ein ganz normales Leben werden können, endlich einmal. Nach zwei Jahren hatte seine Mutter dann dieses wüste altgriechische Theaterprojekt in Indianapolis angenommen und war mit Clara schwanger geworden. Und wieder hatte sich ihr ganzes Leben auf links gedreht. Immerhin hatte er danach eine Schwester gehabt, seine liebenswerte, altkluge Clara, die schon als Kind so viel vernünftiger und erwachsener war als er selbst. Und als ihre Mutter sowieso. Das war nicht schwer.
    Irgendwie hatte die Erinnerung an die taube Katze Isis den Wunsch in ihm geweckt, diesen Teppich zu kaufen. Nicoletta hatte erstaunt, aber verständnisvoll seiner wirren Katzengeschichte gelauscht und dann genickt. »Okay«, hatte sie gesagt. »Aber dann brauchen wir als Farbtupfer unbedingt ein neues Sofa. Ein rotes Samtsofa vielleicht, ich habe kürzlich eins im Katalog gesehen. Das war allerdings sehr teuer.«
    So war Nicoletta. Und jetzt würde er dasitzen mit dem Katzenteppich in seiner und sie mit dem rotsamtenen Dreisitzer in ihrer Wohnung.
    Genug von Nicoletta, dachte Jan, als er den Klingelknopf neben dem leeren Plastikschild drückte, das bald seinen Namen tragen würde.
    Es war eine wunderschöne Wohnung, ganz bestimmt war sie das. Drei großzügig geschnittene Zimmer und ein modernes Bad, ein großer, quadratischer Balkon, von dem aus man zwar nicht den Rhein sehen konnte, aber dafür den Petersberg. Sie lag im ersten Stock. Auch wenn durch die großen Fenster jetzt am frühen Vormittag nur wenig trübes Novemberlicht sickerte, konnte Jan sich vorstellen, wie luftig und hell es wäre, wenn die Tage wieder länger wurden.
    Die Wohnung war schön, keine Frage. Doch sie stank nach Teppichkleber und war gähnend leer. Sie weckte ein verstörendes Gefühl von Einsamkeit, und der kettenrauchende Handwerker, der ihm die Tür geöffnet hatte, konnte es beim besten Willen nicht vertreiben. Die größte Hoffnung hatte er in den Teppich gesetzt. Ein Teppich schaffte Wärme und Farbe und verband die Räume. Jetzt war er drin, doch mit den rohen Wänden, an denen noch die Reste der Tapete seines

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