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Nibelungenmord

Nibelungenmord

Titel: Nibelungenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merchant
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zusammenklappte, sah nicht aus wie ein Polizist. »Jan Seidel, Mordkommission. Darf ich kurz hereinkommen?«
    »Aber bitte!« Sie ging voran ins Wohnzimmer und ließ sich wieder auf ihrem Platz vor dem Kamin nieder. »Setzen Sie sich doch.«
    Der Kommissar blieb stehen. Er war klein und schmal, ein beinahe südländischer Typ mit mädchenhaften Wimpern und zarten Händen. Wie immer erfasste Romina intuitiv die wesentlichen Details ihres Gegenübers. Kaum Muskulatur. Gute Körperspannung, wahrscheinlich joggte er. Trotzdem fehlte ihm die Präsenz, die ihn als Modell interessant gemacht hätte. Dafür wirkte er zu unruhig, zu gestresst.
    »Mordkommission, sagten Sie?«, fragte Romina. Es tat gut, sich den Kommissar als Modell vorzustellen. Es lenkte sie ab, nahm ihr die Angst vor seinen Fragen.
    Seidel nickte. »Im Nachtigallental ist eine Leiche gefunden worden.«
    »Davon habe ich gehört.«
    »Tatsächlich?« Er hatte sich auf das Sofa gesetzt. Sein Knie wippte.
    »Ich habe einen Laden unten an der Hauptstraße. Es gab heute kaum ein anderes Gesprächsthema.«
    »Dann haben Sie sicher auch davon gehört, dass Margit Sippmeyer verschwunden ist. Kennen Sie sich?«
    »Flüchtig. Vom Sehen.«
    »Wo waren Sie gestern Abend ab sieben Uhr?«
    »Hier im Haus.«
    »Kann das jemand bestätigen?«
    »Ich lebe allein«, sagte Romina. Sie griff in Tomtes Katzenfell. Es war seidenweich und tröstlich, wie immer.
    »Eine Zeugin hat ausgesagt, sie habe Sie gestern Nacht beim Haus der Sippmeyers gesehen.«
    »Komisch«, sagte Romina. »Dann irrt sich Ihre Zeugin.« Innerlich verfluchte sie Michael dafür, dass er sie in diese Situation gebracht hatte. Dieses Gespräch wäre lange nicht so unangenehm, wenn sie nicht hätte lügen müssen.
    Lügen war ungesund. Es verstopfte. Es blockierte die Kreativität und bremste die Lebenskraft. Seit langem versuchte sie, das Michael klarzumachen. Schlimm genug, dass er sein Leben auf Lügen aufbaute, aber jetzt begann er, auch ihres mit Lügen zu infiltrieren.
    Der Kommissar warf einen Blick auf seine Armbanduhr und zuckte zusammen. Hastig stand er auf.
    »Das war es dann fürs Erste, Frau Schleheck. Wo sind Sie morgen zu erreichen?«
    »Hier.« Morgen hatte sie frei. An diesem Tag kam Liane, die Aushilfe, die regelmäßig im Laden verkaufte und auch die Lieferungen übernahm. Eigentlich hatte Romina einen schönen Tag geplant, ein Frühstück mit Michael und dann konzentrierte Arbeit im Atelier. Sie brauchte diesen Tag dringend. Sie musste endlich vorankommen. Wie sollte sie malen, wenn sie mit einem Ohr auf das Klingeln der Polizei lauschte?
    »Dann also bis morgen.« Der Kommissar hatte es eilig. Er verschwand ohne die üblichen Höflichkeitsfloskeln im Flur. Die Haustür gab ein klapperndes Geräusch von sich. Romina sah ihm durch das Fenster nach.
    Komischer Auftritt, dachte sie. Wahrscheinlich hat er noch eine wichtige Verabredung. Auch Polizisten haben schließlich ein Privatleben.
    Romina griff nach der Flasche mit dem Quittenschnaps und schenkte sich noch einmal ein. Tomte schritt auf leisen Pfoten in die Küche, schnupperte am leeren Futternapf und maunzte auffordernd.
    Erneut barst mit lautem Knacken ein Holzscheit.
    Der Kamin brannte so hell wie zuvor, und doch hatte er seine heilende Kraft verloren.
    *
    Fettige Fritten mit Wurst. Und als Beilage Krautsalat und Tsatsiki. Das war das schöne Abendessen. Die durchweichten Pappschalen nahmen sich auf der gestärkten Tischdecke mit den rot-weißen Tellern von Spode ziemlich merkwürdig aus.
    Wenn Edith ehrlich war, hatte sie sich den Abend etwas anders vorgestellt. Das Telefon hatte geklingelt, kaum dass Herta gegangen und der Tisch abgedeckt war. Sie hatte gleich gewusst, dass es Jan war, wer hätte es sonst sein sollen? Es war bereits das dritte Telefonat an diesem Tag mit ihm gewesen, und das fiel Edith deswegen auf, weil ihr Telefon manchmal wochenlang still blieb.
    Er habe noch zu tun, aber er würde sie später gerne zum Essen einladen, auch als Dank für ihre Gastfreundschaft. Ob sie etwas empfehlen könne?
    Das konnte sie nicht. Das letzte Mal, dass jemand sie zum Essen ausgeführt hatte, war in den achtziger Jahren gewesen, bevor ihre jüngere Tochter Gudrun nach Kanada ausgewandert war. Danach hatte sie niemand mehr eingeladen. Edith wurde von ihren beiden Töchtern nicht gerade mit Aufmerksamkeit überschüttet. Sie beschwerte sich nicht, es war einfach so.
    »Was machen wir denn dann?«, überlegte Jan. »Wollen wir uns in

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