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Nibelungenmord

Nibelungenmord

Titel: Nibelungenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merchant
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hatten sein etwas zu langes Haar aufleuchten lassen wie einen Glorienschein. Lächerlich jung war er ihr da erschienen, und neugierig war sie näher getreten, obwohl sie damals noch Vegetarierin war und auf dem Grill nichts brutzelte, was sie lockte. Nichts außer dem Mann dahinter.
    Michael. Der Name passte. Michael, der Erzengel, der den Drachen besiegt. Ein Drachentöter wie Siegfried.
    Michael Sippmeyer sah aus wie Siegfried. Das war das Erste, was ihr in den Sinn gekommen war, damals.
    Ein Drachentöter, hatte sie verschwommen gedacht, einer, der den Tod besiegt. Genau dafür war nach Rominas Überzeugung die Kunst da: den Tod besiegen. Das Leben und die Dinge ihrer Vergänglichkeit und Flüchtigkeit entreißen. Das spürte sie ganz plötzlich und unvermittelt und niemals wieder so stark wie an jenem Tag, als sie Michael hinter dem Grill stehen sah, die Sonne im Haar, ein perfektes Modell.
    Er war nicht ganz so jung, wie sie zuerst gedacht hatte, zum Glück, sonst hätte sie Skrupel gehabt. So hatte sie keine. Auch nicht wegen seiner Ehefrau. Michael liebte seine Frau, das sah jeder. Dummerweise hatte Romina geglaubt, damit sei die Angelegenheit klar und sauber, damit seien sie gefeit gegen emotionale Komplikationen. Ein paar gemeinsame Nächte, getrennte Tische, getrennte Kassen, getrennte Häuser. So lautete die Garantie für bequeme Partnerschaften, die Romina seit einiger Zeit erfolgreich praktizierte. So etwas funktionierte am besten mit bestimmten Männern. Denen, die ihre Ehefrauen ernsthaft liebten und ihre Ehen nicht aufs Spiel setzen wollten, eigentlich.
    Sie hatte nicht damit gerechnet, dass sie sich ineinander verlieben würden. Wie hätte sie sich nicht verlieben können – in einen Siegfried? Michael hatte sie gezähmt, ganz wie Siegfried es mit Brünhild getan hatte. Und er hatte sie mit keinem Gürtel binden müssen, sie hatte sich freiwillig ergeben.
    Michael seufzte im Schlaf auf, und vorsichtig zog Romina ihre Hand zurück.
    Es war erstaunlich. Trotz allem, was gestern geschehen war, behielt Michael seinen gesunden Kinderschlaf. Rührend. Tröstlich.
    Oder sollte sie sich vielleicht Gedanken machen, warum Michael nach dem Verschwinden seiner Frau so ruhig schlafen konnte?
    Gegen zwei Uhr, als ihr Atem allmählich wieder langsamer wurde, hatte sie ihn gefragt.
    »Wir haben ausgemacht, nicht über Margit zu reden, erinnerst du dich?«, hatte er gesagt, mit ruhiger Stimme, es hatte irgendwie auswendig gelernt geklungen.
    Natürlich erinnerte sie sich an diese Regel, sie selbst hatte sie aufgestellt. Es war eines der Gesetze, die halfen, die trügerischen Sichtschutzwände zwischen der Liebe, die sie mit Michael teilte, und seiner Familie zu errichten.
    Affären brauchten diese Sichtschutzwände. Wenn er bei mir ist, ist er nicht bei ihr. Wenn er bei ihr ist, ist er nicht bei mir. Manchmal, wenn er bei seiner Familie war, dachte er trotzdem an Romina, das wusste sie.
    Umgekehrt auch?
    Egal, dachte Romina.
    Unwillkürlich schüttelte sie den Kopf, um den unliebsamen Gedanken zu verscheuchen, dann stieß sie die Decke von sich und lief barfuß die Treppe hinunter. Tomte wartete immer hungrig darauf, morgens eingelassen zu werden. So sehnsüchtig er abends maunzte, um ins Freie zu gelangen und seine Runden zu drehen, so froh war er, wenn er morgens wieder bei ihr und im Warmen war. Und bei seinem Futternapf natürlich. Denn egal, wie viele Mäuse er ihr auf die Türmatte legte, er fraß niemals eine von ihnen. Dafür schmeckte ihm sein Dosenfutter viel zu gut.
    Als Romina die Haustür öffnete, schoss er wie ein geölter Blitz in den Flur und maunzte. Kalte Luft strömte herein und streifte Rominas nackte Füße. Sie schauderte. Es war eiskalt geworden. Vielleicht würde es sogar schneien, es lag etwas in der Luft.
    Während sie wartete, dass ihr Teewasser heiß wurde, sah Romina aus dem Fenster. Inzwischen war die Dunkelheit einem grobflockigen Grau gewichen, in dem sie durch die schwarzen Fichten hindurch die Umrisse des Nachbarhauses erkennen konnte. Sie hatte den Wagen davor gestern gesehen, und sie wusste, was er zu bedeuten hatte. Theodor Kornbichl bekam nie Besuch. Es war die Polizei gewesen, ganz bestimmt. Ihr Nachbar war ungefähr achtzig und verließ selten das Haus. Er sah oft und gern aus dem Fenster, und da hier draußen nicht viel los war, war es kein Wunder, dass er über ihr Leben genau unterrichtet war. Es machte Romina nichts aus. Ihr Nachbar grüßte sie freundlich, und manchmal

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