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Nibelungenmord

Nibelungenmord

Titel: Nibelungenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merchant
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Edith erkannte. Erst lächelte sie, dann aber verschloss sich ihr Gesicht. Wahrscheinlich fiel ihr ein, dass sie die Großmutter eines Kriminalkommissars war, und zog gleich die Verbindung zu den Ereignissen des Vortags.
    »Guten Morgen«, grüßte sie höflich und wartete ab.
    »Entschuldigen Sie bitte die Störung, Frau Thomas, aber ich muss unbedingt mit Ihnen reden.«
    Kurz zögerte Cecilia, dann öffnete sie die Tür weit und nickte. »Kommen Sie herein. Frau Herzberger, richtig? Wir setzen uns in die Küche.«
    Während Edith ihr durch die grau-schwarz geflieste Eingangshalle – von einem Flur konnte man bei dieser Größe nicht reden – folgte, umklammerte sie ihr Geleeglas. Ihr war sehr unbehaglich zumute, und das elegante Interieur der Villa tat nichts dazu, dass sie sich wohler fühlte. Bisher hatte sie das Gebäude immer nur von außen bewundert. Von der Rheinpromenade aus sah es wie ein Schloss aus, und Edith hatte manches Mal überlegt, was für Zimmer sich darin verbergen mochten und was für ein Gefühl es wohl war, wenn man morgens in einem der Türmchen, die das Haus flankierten, frühstückte. Doch jetzt, da sie drinnen war, nahm sie nur dumpfe Traurigkeit wahr, die sich wie ein durchdringender Geruch verbreitete. War das Verschwinden der Hausherrin daran schuld, oder hatte auch vorher schon diese Atmosphäre geherrscht?
    »Trinken Sie einen Kaffee mit mir?«
    »Gerne.«
    Cecilia bedeutete ihr, an dem großen hölzernen Küchentisch Platz zu nehmen. Schweigend stellte sie Kaffeetassen unter eine moderne Maschine, drückte einige Knöpfe, und mit einem leisen Fauchen schoss hellbrauner Schaum aus der Düse, der aromatischen Kaffeeduft verströmte. Fasziniert sah Edith zu.
    »Ich hoffe, Sie halten mich nicht für furchtbar aufdringlich«, sagte sie und stellte ihr Geleeglas auf den Tisch. In dieser Umgebung nahm es sich irgendwie armselig aus.
    Cecilia verteilte die Tassen, Zucker und Löffel und wartete. Vermutlich hatte der gestrige Tag sie gelehrt, nicht ungefragt zu viel zu verraten.
    Edith sah den druckfrischen Generalanzeiger unberührt auf der Arbeitsplatte liegen. Offenbar hatte noch niemand hineingesehen und von dem grausigen Fund im Nachtigallental gelesen.
    Edith verschränkte ihre Hände im Schoß und warf Cecilia einen entschuldigenden Blick zu. Sie hatte ihren Auftritt so gut geprobt, dass sie wusste, er würde gelingen. »Mein Enkelsohn hat mir berichtet, was gestern vorgefallen ist, und ich möchte mich für sein Benehmen entschuldigen. Dass Sie Ihre Beobachtung geschildert haben, und er hat Ihnen nicht geglaubt … Ich war natürlich nicht dabei, und Genaueres weiß ich auch nicht, aber ich fürchte, er war ungerecht zu Ihnen.«
    »Das ist ja nicht Ihre Schuld.« Cecilias Stimme klang freundlich, aber reserviert.
    »Ich will Ihnen nur berichten, was ich zu ihm gesagt habe, Frau Thomas.« In scheinbarer Erregung beugte Edith sich vor. »Wenn die Polizei nicht aufhört, anständige Menschen wie Verbrecher zu behandeln, dann kann sie auch nicht auf Mithilfe hoffen. Ich bin überzeugt, habe ich ihm gesagt, was auch immer Frau Thomas ausgesagt hat, sie tat es nach bestem Wissen und Gewissen. Und schließlich kann man nicht für die Qualität seiner Erinnerung bürgen, nicht wahr? Wenn man wüsste, dass einen später die Polizei danach fragt, würde man freilich ganz genau aufpassen, aber so …«
    Cecilia nahm das Glas in die Hand und betrachtete es. »Ich danke Ihnen für Ihren Besuch, Frau Herzberger. Machen Sie sich keine Gedanken, Ihr Enkel macht nur seine Arbeit. Wir alle wollen ja, dass Frau Sippmeyer bald gefunden wird.«
    »Er wusste schon als kleiner Junge nicht, wo seine Grenzen sind.« Edith seufzte tief. »Ständig hat er die Leute vor den Kopf gestoßen. Einmal, als er mich besucht hat, hat er beim Bäcker Bonbons bekommen, und anstatt sich zu bedanken, sagte er, diese Kamellen schmeckten nicht und seien zudem schlecht für die Zähne.«
    »So sind Kinder nun mal.«
    »Ich bitte Sie, da war er acht oder neun! Es ist natürlich nicht seine Schuld. Er ist einfach furchtbar verwöhnt worden, das tut Kindern nicht gut. Es liegt alles an meiner Tochter.« Ediths Stimme verlor sich ein wenig, als sie an ihre ältere Tochter dachte, und sie leistete im Stillen Abbitte für ihre Worte, die zwar wahr, aber trotzdem nicht angemessen waren. »Ich weiß nicht, was ich bei ihr falsch gemacht habe, aber sie konnte dem Jungen einfach kein stabiles Elternhaus bieten. Der Vater des

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