Nibelungenmord
aber erst will ich, dass DU mir was erklärst. Ich hatte nämlich gestern ein ganz komisches Gespräch mit deiner Exverlobten. SIE ruft MICH an, stell dir das vor! Wie weit ist es gekommen, wenn Nicoletta mich anruft? Sie hat mich angefleht, ihr zu sagen, ob du eine Neue hast.«
»Hat sie nicht!«
»Hat sie doch.«
»Und was hast du gesagt?«
»Dass die Einzige, von der ich wüsste, über achtzig ist und streng genommen eine Blutsverwandte.«
»Sehr witzig.«
»Nein, witzig war das ganz und gar nicht. Sie hat GEHEULT, Jan. Und das vor mir, obwohl sie doch vorher eher in ihren Lippenstift gebissen hätte, als mir mehr als die Uhrzeit zu sagen.«
»Es tut mir leid, dass es ihr schlechtgeht.« Das stimmte. Und wie das stimmte!
»Das sollte es auch. Ich weiß zwar nicht, was du ihr angetan hast, aber sie ist fix und fertig. Und du ja auch. Herrje, könnt ihr euch nicht einfach vertragen? Macht es wie die Kinder im Sandkasten! Habt euch wieder lieb!«
»So einfach ist das nicht, Clara.«
»Dann macht es gefälligst wie Erwachsene und hört auf zu jammern.«
»Okay. Ich werde nicht mehr jammern.«
»Ruf sie an! Versprich mir das!«
»Sie hat gesagt, ich soll sie in Ruhe lassen. Dreimal hat sie das gesagt.«
Clara seufzte. »Wenn Frauen das eine sagen, meinen sie manchmal das andere. Ganz alte Weisheit, Jan. Wusstest du das nicht?«
»Nicoletta sagt aber immer genau, was sie denkt.«
»In dieser Sache nicht, glaub mir.«
Er schwieg.
»Jan, du kennst sie nur in der Beziehung. Jetzt seid ihr getrennt, da gelten andere Regeln. Die normalen Mann-Frau-Regeln. Die sind universal gültig. Ruf mich nicht an bedeutet ruf mich an, und ich ruf dich an bedeutet ruf mich bloß nicht an. «
»Okay«, sagte er und beschloss, ihr zu glauben. Claras hervorstechendste Eigenschaft war, dass sie beinahe immer recht hatte.
»Immer wieder gerne.«
»Warten wir erst mal ab, ob sie mit mir spricht.«
»Tun wir. Ich warte gerne mit. Darf ich jetzt das Thema wechseln?«
»Schieß los.«
»Henny hat eine kryptische Nachricht hinterlassen, dass Edith bald auszieht.« Auch Clara nannte ihre Mutter nur beim Vornamen. Sie hatte ihnen das Mama verweigert wie vieles andere auch.
So knapp wie möglich berichtete Jan von dem Besuch der Frau aus dem Seniorenheim und davon, wie Edith sie vertrieben hatte, und Clara prustete los.
»Da wäre ich gern dabei gewesen.«
»Ich nicht. Ich wäre nämlich verantwortlich, wenn etwas passiert wäre.«
»Warum passt du auch nicht besser auf deine Waffe auf? Das lässt tief blicken. Psychoanalytisch gesehen …«
»Ich muss Schluss machen, Clara.«
»Hey! Weich mir nicht immer aus!«
»Das tue ich gar nicht. Ich muss arbeiten.«
»Dann ruf mich an. Was war denn gestern Abend?«
»Hier ist viel los, darum musste ich gestern lange arbeiten. Wir haben mindestens eine Leiche und eine Vermisstensache.«
»Spannend?«
»Mal sehen.«
»Wann rufst du an? Ich will endlich das ganze Hochzeitsdrama hören!«
»Bald«, sagte er. »Ich verspreche es dir.«
Versprechen kann man viel, dachte Jan, als er sein Handy zuklappte.
Das wusste niemand so gut wie er.
*
Das Gelee war ausgezeichnet. Es schimmerte mattschwarz in dem hübschen wabenförmigen Glas, und Edith hatte eine violette Samtschleife um den Deckel gebunden. Zwar hatte sie die Brombeeren nicht wie in früheren Jahren selbst am Rhein gepflückt, aber die Empfänger der wenigen Gläser, die sie bereits verschenkt hatte, versicherten ihr, es schmecke trotzdem köstlich.
Obwohl sie von der Qualität ihres Gelees überzeugt war, zögerte Edith, auf die Türklingel zu drücken. Gestern war ihr die Idee, Cecilia aufzusuchen, glänzend erschienen. Doch was, wenn diese sich gar nicht an sie erinnerte? Oder wenn sie Edith für eine Schaulustige hielt, die sich am Ort der mutmaßlichen Entführung umsehen wollte? Oder, noch schlimmer – unwillkürlich trat Edith einen Schritt zurück, so dass ihre Schuhe im sauber geharkten Kies der Einfahrt knirschten –, wenn Michael Sippmeyer selbst die Tür öffnete und sie fragte, was sie hier zu suchen habe?
Edith fühlte sich ohnehin nicht gut. Ihre Beine schienen ihr nicht wie sonst zu gehorchen, ihr Herz war heute so flatterig, und erstmals überlegte sie, ob eine alte Dame wie sie vielleicht lieber zu Hause sitzen und stricken sollte.
Es war zu spät, um wieder zu gehen, denn plötzlich öffnete sich die Tür von innen, und Cecilias Gesicht erschien im Türspalt. Sie sah überrascht aus, als sie
Weitere Kostenlose Bücher