Nibelungenmord
Furcht, der Hausherr, über den sie hier so offenherzig sprachen, könnte dort erscheinen. »Alle nehmen es hin, niemand trifft eine Entscheidung. Als wäre er der Nabel der Welt.« Ihre Stimme troff vor Verachtung.
Und als Edith, erschrocken beim Anblick von so offener Feindseligkeit, nach ihrer Tasse griff, um sich dahinter zu verstecken, hörte sie Cecilias geflüsterten Satz.
»Schade, dass es nicht ihn erwischt hat.« Und Edith fragte sich, ob es noch einen weiteren Grund für Cecilias tiefe Abneigung gab.
Das Klingeln an der Haustür unterbrach das beklemmende Schweigen, das sich in der Küche ausgebreitet hatte. Mit einer Entschuldigung stand Cecilia auf und ging zur Tür. Wortfetzen drangen zu Edith, und sie lauschte mit geneigtem Kopf. Offenbar ein Lieferant, an dessen Ware die Haushälterin etwas auszusetzen hatte.
Von der Küche gingen zwei Türen ab. Die eine, durch die sie hereingekommen waren, führte in den Flur.
Leise stand Edith auf und öffnete die andere.
Das Wohnzimmer war riesig. Ein großzügiger Essbereich mit Platz für mindestens zehn Personen, ein Kaminzimmer, das eine halbe Etage tiefer lag, und eine Art Wintergarten mit komplett verglaster Front. Doch das, was sie suchte, fand Edith nicht. Sie suchte Bücher.
Sie trat durch die Küche in den Flur und horchte. Cecilia hatte den Lieferanten offenbar zu seinem Wagen begleitet.
Ich kann immer noch sagen, dass ich die Toilette gesucht habe, dachte Edith und machte sich an den Aufstieg. Als sie den ersten Stock erreicht hatte, war sie ein wenig außer Atem. Sie hatte nicht viel Zeit, und so öffnete sie aufs Geratewohl die Zimmertüren. Das erste Zimmer verströmte unverkennbar Männlichkeit. Hellbraune Wände, puristisch gerahmte Stiche, die Schiffe und Leuchttürme zeigten. Ein Stapel Computerzeitschriften auf dem Nachttisch, das war alles.
Leise schloss Edith die Tür und öffnete die daneben. Ein Badezimmer, durch eine Tür mit dem ersten Zimmer verbunden. Daneben noch ein Badezimmer.
Erst beim nächsten Zimmer hatte sie Glück. Luftige Vorhänge, cremefarbene Teppiche auf hellen Fliesen und der goldene, barock geschwungene Spiegel zeigten unverkennbar an, dass hier eine Frau wohnte. Eine kleine Tür führte in ein angrenzendes Ankleidezimmer. Auf dem Nachttisch stand ein golden gerahmtes Hochzeitsfoto, daneben lag ein Buch.
Dies musste das Zimmer sein, aus dem Margit verschwunden war. Ediths Blick wanderte zu dem Fenster. Laut Jans Bericht hatte es offen gestanden. War jemand in den ersten Stock geklettert? Mit einer Leiter vielleicht? Das klang ein wenig nach Enid Blyton.
An der Türseite entdeckte sie endlich, was sie suchte. Als sie an die Regale trat, um die Buchtitel zu lesen, versagten ihr die Beine für einen Moment den Dienst, und sie sank auf einen der eleganten Barockstühle. Ob es der war, den die Eindringlinge umgestoßen hatten? Es tat gut zu sitzen. Sie musste aufpassen. Wenn sie sich bückte, würde sie nicht ohne Hilfe hochkommen.
Margit schien ihre Bücher nicht zu ordnen, sie standen in wüstem Durcheinander im Regal. Edith musste dem Drang widerstehen, Die Säulen der Erde zwischen zwei Bänden von Dorothy Sayers hervorzuziehen. Hauptsächlich waren Kriminalromane und Biographien in den beiden schmalen Regalen, dazu einige Bestseller. Ganz unten schienen sich Ratgeber zu befinden, in der Mitte rechts standen viele weiß-schwarze Buchrücken, die ihr bekannt vorkamen. Edith nickte befriedigt. Donna Leon. Sie nahm eines heraus, es war einer der späten Romane, der mit den Diamanten. Ob sie die Reihe komplett hatte? Leider waren die Bücher nicht systematisch eingeordnet. Edith begann zu zählen und kam auf achtzehn Bände. Gerade wollte sie noch einen Blick auf die Ratgeber werfen, da hörte sie eine scharfe Stimme hinter ihrem Rücken.
»Was um Himmels willen machen Sie da?«
Es war Cecilia, und dass sie wütend klang, konnte Edith ihr nicht verdenken.
»Ich suche die Toilette.« Edith zwinkerte nervös.
»Und deswegen sitzen Sie im Schlafzimmer von Frau Sippmeyer und stöbern in ihren Sachen herum?«
»Mir ist schwindlig geworden.«
»Kommen Sie sofort aus dem Zimmer!«
Nur zu gern wäre die alte Dame dieser Aufforderung gefolgt, aber es fiel ihr tatsächlich schwer, wieder hochzukommen. Bittend reichte sie Cecilia einen Arm und ließ sich aufhelfen.
Sie glaubt mir kein Wort, dachte sie, als sie bald darauf in dem modernen Gästebad stand und sich das Wasser über die Hände laufen ließ. Kein Wunder.
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