Nibelungenmord
hätte ich nicht von ihr gedacht. Diese schönen Männer sind doch wirklich eine Seuche. Margit Sippmeyer muss nicht gescheit gewesen sein, so einen Kerl zu heiraten.«
Edith war geneigt, ihr zuzustimmen. Die Wirkung von Michael Sippmeyer auf Frauen schien in der Tat ungewöhnlich zu sein. So etwas führte nach ihrer Erfahrung früher oder später immer zu Problemen. »Wahrscheinlich hat sie ihn sehr geliebt!«, sagte sie.
»Aber natürlich, Edith! Sicher hat sie das! Und das hat sie jetzt davon!«
»Ja«, sagte Edith. »Das hat sie jetzt davon.« Sie dachte an das gerahmte Hochzeitsfoto auf Margit Sippmeyers Nachttisch. Wie mochte es sein, dieses Bild beim Einschlafen vor Augen zu haben, während die andere Seite des Ehebetts wieder einmal leer blieb? Aber nein, die andere Hälfte des Ehebetts, bildlich gesprochen, hatte sich ja ohnehin in einem anderen Zimmer befunden.
Ich muss mit Jan darüber sprechen, dachte sie. Gleich wenn er nach Hause kommt. Er würde überrascht sein, dass sie nicht im Krankenhaus geblieben war, aber er hatte ganz bestimmt Verständnis dafür, dass sie sich zu Hause am besten erholen konnte. Sie würde ihn bitten, für das Abendessen zu sorgen, selbst auf die Gefahr hin, dass es wieder Pommes frites wurden, und dabei würden sie sich über den Mord unterhalten. Edith war sicher, dass sie bei diesem Programm in Windeseile gesund werden würde.
»Ich hätte niemals so einen Schönling geheiratet«, sagte Herta, während sie neugierig das Ehepaar musterte, das an dem Tisch neben ihnen Platz nahm.
Edith verkniff sich einen Kommentar über Hertas längst verstorbenen Karl. Sie dachte an ihren Johann und sein Holzbein und unterdrückte ein Seufzen. Das waren andere Zeiten gewesen, damals. Und andere Männer. »Ich werde mal meinen Enkel fragen, ob es tatsächlich keine Neuigkeiten gibt«, sagte sie dann und spürte Hertas neugierigen Blick. Das tat gut. Herta hatte vier Kinder und etwa zwanzig Enkelkinder, eine Zahl jedenfalls, mit der sie Edith immer wieder verblüffte. Sie sparte nicht mit Geschichten über deren zahlreiche Besuche, glänzende Prüfungsergebnisse und rauschende Hochzeiten, so dass Edith oft ihren Neid hatte herunterschlucken müssen, wenn sie Hertas Nachkommenschaft mit ihren eigenen unzuverlässigen Töchtern, die beide noch dazu ständig im Ausland waren, verglich.
Heute jedoch hätte sie Herta noch einige Dutzend weiterer Enkelkinder gegönnt in der wohligen Gewissheit, dass keines von ihnen es mit Jan aufnehmen konnte. Welche Großmutter hatte schon einen ermittelnden Kriminalhauptkommissar zum Enkel, der noch dazu bei ihr wohnte? Und der ihr so reizende rosa Alpenveilchen brachte, kaum dass sie mal eine Nacht im Krankenhaus lag?
»Doch noch zwei Sherry?«, fragte sie Herta mit leiser Stimme. »Ich lade dich ein!«
*
Zumindest für Michael schien die Welt in diesem Augenblick in Ordnung zu sein. Er saß in Rominas Küche auf einem Korbsessel, trank mit kleinen Schlucken von dem blassgelben Quittenschnaps und sah ihr dabei zu, wie sie mit den Vorbereitungen für das Abendessen begann, das Wasser für die Schupfnudeln aufsetzte, Räucherspeck und Parmesan auf die Arbeitsfläche legte.
Ein trügerischer Schleier häuslicher Selbstverständlichkeit lag über ihnen, lag auch auf Tomte, der auf seinem Platz vor dem Fenster mit geschlossenen Augen schnurrte, obwohl niemand ihn streichelte.
Den Thymian hatte Romina schon hereingeholt. Erst dabei hatte sie bemerkt, dass sie dieses Jahr ihre Kräuterernte versäumt hatte. Nun, für dieses Abendessen war das ohne Belang. Zwar hingen die trockenen Blätter nur vereinzelt an den dürren Stengeln des Thymianstrauchs, aber sobald Romina sie zwischen den Fingerspitzen zerrieb, breitete sich ihr wohltuender würziger Geruch in der gesamten Küche aus.
»Riech mal«, sagte sie und lächelte, als Michael folgsam an ihren Fingerspitzen schnüffelte.
»Köstlich«, sagte er. »Was gibt es denn?«
Sie hob die Pastinaken hoch, so dass er sie sehen konnte. »Schupfnudeln«, sagte sie und wandte sich wieder dem Schneidebrett zu.
»Das ist toll«, sagte er und schenkte sich noch einen Quittenschnaps ein. Er sprach nicht aus, was sie beide dachten: dass Schupfnudeln mit Pastinaken und Speck ihre erste gemeinsame Mahlzeit gewesen war, damals, vor vier Jahren. Er hatte nicht gewusst, was Pastinaken sind, und hatte die bräunlichen Stücke für Tofu gehalten, den er hasste. Wortlos hatte Romina minutenlang seinem Kampf zugesehen, wie er
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