Nibelungenmord
mit Riesenschlucken Wein die vermeintlichen Tofubrocken hinunterwürgte und sich dabei um ein neutrales Gesicht bemühte. »Was tust du da?«, war sie dann herausgeplatzt, und das Missverständnis hatte sie vor Lachen Tränen vergießen lassen. Mit viel Mühe hatte sie ihn überredet, eine Gabel voll zu probieren. In den kommenden Jahren hatten sie oft gemeinsam über diesen ersten Abend gelacht und darüber, dass er ihr zugetraut hatte, einem Liebhaber Tofuwürfel als romantisches Abendessen vorzusetzen. Und das Rezept war zu Michaels erklärtem Lieblingsgericht geworden. So oft hatte sie es ihm zuliebe zubereitet, bis sie es selbst nicht mehr essen mochte.
»Das hast du lang nicht mehr gekocht.«
»Ich weiß.«
»Du hast überhaupt lange nicht mehr gekocht. Zumindest nichts außer diesen Eintöpfen, von denen du dann drei Tage isst.«
»Ich habe viel gearbeitet.«
»Das ist gut. Ich wünschte nur, ich dürfte endlich etwas von den neuen Sachen sehen.«
»Noch nicht.«
»Ich bin wirklich gespannt! Sie sind sicher phantastisch, so wie du darin aufgehst. Willst du mir nicht wenigstens die Entwürfe zeigen?«
»Bald«, sagte sie, drehte sich wieder zum Schneidebrett und wandte ihm den Rücken zu. Hoch und runter ging ihr Messer, und die geputzten Pastinaken fielen in ungleichmäßigen Scheibchen auf das helle Holz.
»Nie«, sagte ihr Blick, doch den sah Michael nicht.
Vielleicht war das besser so.
Er sollte seine Pastinaken genießen.
»Was stellen die neuen Bilder eigentlich dar?«
Sie zögerte. Er erhob sich und trat zu ihr. »Ich bin so gespannt«, wiederholte er. »Oder willst du nicht darüber reden?«
»Siegfried. Ich male das Nibelungenlied.« Mit angehaltenem Atem wartete sie auf seine Reaktion, dann wurde ihr bewusst, dass das eine ganz normale Antwort gewesen war, nichts, was ihn beunruhigen würde.
»Das passt ja gut zur Gegend. Dann kannst du die im Laden ausstellen, wenn sie fertig sind.«
»Ja, das wäre toll. Und wenn ich Seepferdchen und Drachen in die Ecken male, werden die Touristen vielleicht sogar das eine oder andere davon kaufen.« Sie biss sich auf die Lippen, aber Michael hatte die bittere Ironie in ihren Worten ohnehin nicht gehört. Er war hinter sie getreten und pustete in ihren Nacken.
»Eines Tages werden die Leute sehen, was du kannst, Romina, ganz bestimmt. Das weiß ich.« Er senkte seine Lippen auf ihren Nacken, und sofort spannte sie die Schultern an.
»Lass das, das kitzelt.«
»Okay, okay. Ich bin sicher, die Leute werden es mögen.«
»Ja«, sagte sie, das war einfacher als eine Entgegnung. In Gedanken sah sie ihre Bilder zwischen Honigtöpfen und Comicdrachen im Laden hängen, sah die selbstgefälligen Gesichter reicher junger Mütter, die ihre Portemonnaies zückten. War es das, was Michael für ihre künstlerische Karriere hoffte? Bei dem Gedanken wurde ihr schlecht. Hastig griff sie wieder nach dem Messer.
»Gestern Nacht war jemand im Haus«, sagte Michael.
Rominas Hände blieben ruhig. Sie zerteilten die hellen, gekerbten Wurzeln. Nur an den Wurzeln konnte man Pastinaken von wildem Schierling unterscheiden. Die Pflanzen sahen ganz ähnlich aus, und falls jemand so dumm war, sie zu verwechseln, hatte das tödliche Folgen.
»Tatsächlich?«, fragte sie, ohne den Kopf zu heben.
»Es war so um Mitternacht herum. Cecilia hat es auch gehört.«
»Vielleicht hätte die Polizei euch helfen können. Warum hast du sie nicht gerufen?«
»Ich habe daran gedacht. Aber dann fiel mir etwas ein. Was, wenn es Margit war? Vielleicht wollte sie einige Sachen holen oder nach Sven sehen.«
Das glaubst du doch selber nicht, dachte Romina. Dennoch war der Gedanke typisch für Michael. Sollte er sich jemals irgendwo verbergen müssen, würde er jede Nacht nach seinem Sohn sehen wollen. Er würde wie ein Hund an dessen verschlossener Zimmertür kratzen und winseln, ohne zu begreifen, dass sein Sohn nichts von ihm wissen wollte.
»Wer weiß«, sagte sie und warf das gewürfelte Gemüse in die heiße Pfanne.
Michael sah ihr zu, nahm einen weiteren Schluck von dem Quittenschnaps.
»Ich freue mich so auf das Essen, Romina. Wir haben viel zu lange nicht mehr zusammen gekocht, findest du nicht?«
Romina antwortete nicht. Sie stellte die Schüssel Feldsalat auf den Tisch und schob sie noch ein Stück näher zu Michael. Dieser sah sie unverwandt an mit seinem schönen Siegfriedkopf, sein blondes Haar leuchtete selbst hier in der dämmrigen Küche, in die an diesem Novembertag
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