Nibelungenmord
seine Geschichte loszuwerden. »Von außen, liebe Frau Vogt, sieht das immer ganz einfach aus.«
»Kriminalhauptkommissarin Vogt«, korrigierte ihn Elena.
»Kriminalhauptkommissarin, entschuldigen Sie. Für Sie sieht es einfach aus. Böser Ehebrecher, arme Betrogene. Ganz so einfach ist es leider nicht.«
»Nein?«
»Menschen verlieben sich. Sie verlieben sich auch, wenn sie schon eine Weile verheiratet sind. Natürlich wäre es am einfachsten, wenn sie nach der Hochzeit damit aufhören würden, aber das Leben ist nun mal nicht einfach. Wer weiß? Wenn Romina sich nicht für mich interessiert hätte, vielleicht hätte ich dann schon nach wenigen Wochen nicht mehr an sie gedacht und wäre für den Rest meines Lebens glücklich an der Seite meiner wunderbaren Frau gewesen. Aber es ist eben anders gekommen.«
»Offensichtlich«, sagte Elena, ohne eine Miene zu verziehen.
»Was soll man denn in so einer Situation tun? Ich bin achtundvierzig Jahre alt. Soll ich herumlaufen wie ein liebeskranker Teenager, nicht mehr vor die Tür gehen, aus Angst, ihr zu begegnen?«
»Nun, es gibt Leute, die in Ihrer Situation genau das tun, ja.«
Sippmeyer redete weiter, als habe er sie gar nicht gehört. »Schlimm ist nicht, dass man zwei Frauen liebt. Das kann jedem passieren. Schlimm ist, wenn man deswegen eine Familie zerstört. Die Männer, die Frau und Kind verlassen, die meinen, sie könnten alles hinter sich lassen und ein neues Leben beginnen, ohne Rücksicht auf das alte. DAS ist schlimm. Und so etwas würde ich niemals tun. Ich würde meinen Sohn niemals im Stich lassen, und das weiß er. Sven ist mein Ein und Alles.« Ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht, als er seinen Sohn erwähnte.
»Sie scheinen sich ja sehr sicher zu sein, dass Sie alles richtig gemacht haben«, sagte Elena.
Sippmeyer steckte den Kugelschreiber zwischen die anderen Stifte und warf ihr einen Blick zu, der sie hätte erwärmen können, wäre sie für derlei anfällig gewesen.
Verdammt, dachte Elena, der Mann hat wirklich Charisma.
»Sie halten mich für ein komplettes Arschloch, stimmt’s? Und vielleicht bin ich das. Aber Sie wissen auch nicht, wie das ist.«
»Wie was ist?« Sie fragte beinahe gegen ihren Willen.
Die Tür öffnete sich, und die Sekretärin steckte den Kopf herein. Es war eine vierschrötige, grauhaarige Frau, die das Rentenalter nach Elenas Einschätzung längst erreicht haben musste. »Entschuldigen Sie einen Moment, ich habe hier das Schreiben an …«
»Natürlich«, sagte Sippmeyer, nahm ihr die Mappe aus der Hand und unterschrieb schwungvoll. Dann wartete er, bis sich die Tür wieder hinter der Frau geschlossen hatte, ehe er fortfuhr.
»Sie haben keine Ahnung, wie das ist, wenn man wie ein Casanova in einer Schmierenkomödie durchs Leben rennt. Die Frauen mögen mich eben. Ich habe mir meine Rolle nicht ausgesucht, wirklich nicht. In dem Alter, in dem ich das vielleicht genossen hätte, wollte keine etwas von mir wissen, es fing erst später an, und da war ich schon verheiratet und hatte kein Interesse an anderen Frauen. Ich habe nur Ärger damit, glauben Sie mir. Seitdem bin ich verzweifelt damit beschäftigt, einen möglichst asexuellen Eindruck zu machen. Keine Scherze zu Kolleginnen, möglichst keine Einkäufe ohne meine Frau.«
Er musste Elena ihren Argwohn angesehen haben, denn er sprang auf. »Jetzt gucken Sie nicht so ungläubig! Ich habe einen Beruf, in dem ich absolut vertrauenswürdig sein muss. Meinen Sie, die Männer kommen mit ihren Verträgen zu mir, wenn sie glauben, ich mache ihren Ehefrauen schöne Augen? In so einer kleinen Stadt wie dieser hat man seinen Ruf sofort weg, wenn man nicht aufpasst. Und umziehen kann ich nicht, sonst müsste ich mein Notariat aufgeben. Es dauert lange, ehe man eins bekommt, und hier gefällt es mir. Wenn ich gehe, muss ich viele Jahre warten, ehe mir die Kammer ein neues zuteilt.«
»Was war damals in der Eifel? Warum sind Sie fortgezogen?«
»Haben Sie nicht zugehört? Ich war endlich auf Platz eins der Liste, man bot mir Königswinter, und ich griff zu. So macht man das.«
»Und die Anzeige?«
»Die …« Er blinzelte, und dann erst schien er zu verstehen. Er lachte trocken.
»Was ist damals passiert?«
»Gar nichts ist passiert! Eine Nachbarin war der festen Überzeugung, da liefe etwas zwischen ihr und mir. Irgendwann machte sie mir ein sexuelles Angebot, das ich ablehnte, und sie schwor Rache. Das Ganze hat sich schnell aufgelöst, sie hat ihre Aussage
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