Nibelungenmord
wunderte sich selbst, wie sicher ihm das gelang.
»Vielleicht kannst du ja einfach ein bisschen pennen«, sagte er.
»Bestimmt nicht.« Sie lächelte ihm unter der Wolldecke zu, und es war leider schon so dämmrig, dass er die blauen Flecken in ihren Augen nicht sehen konnte.
»Sven?«
»Ja?«
»Erzähl mir doch was. Von Bilbo und so. Wenn du das nicht schlimm findest, wegen deiner Mutter und, na, du weißt schon.«
Bilbo. Natürlich würde er von Bilbo erzählen. Ihn selber würde das auch beruhigen. Und sie würde gleich einschlafen, beruhigt von seiner Gutenachtgeschichte, beruhigt auch von den Tabletten.
Immerhin waren drei davon in der Cola gewesen.
*
Romina Schleheck sagte nichts. Zumindest nichts, was ihnen weiterhalf.
Sie beantwortete Jans Fragen, zögernd zwar und ohne ihn anzusehen, aber sie antwortete auf jede einzelne Frage, und ganz aus der Luft gegriffen klangen ihre Erklärungen nicht. Wahrscheinlich hatte sie sich vorher alles genau zurechtgelegt. Sie schien keine Angst zu haben. Sie schien allerdings auch nicht wirklich interessiert an dem, was um sie herum geschah. Außer daran, dass man ihr Bild fand.
Es war ihm vorgekommen, als wüsste sie genau darüber Bescheid, wie es heute in ihm aussah. Dass ihm heute nichts so wichtig war wie das Ergebnis dieser Vernehmung. Dass er am liebsten handgreiflich werden würde, um aus ihr herauszupressen, wo sie Margit Sippmeyer versteckt hielt. Weil das möglicherweise das Einzige war, was ihm in der letzten Zeit halbwegs gelungen war.
Nein, sie wisse nichts.
Nein, sie kenne keine Valerie Koller.
Nein, sie habe nichts mit Margit Sippmeyers Verschwinden zu tun, wisse weder, wo sie sich aufhielt, noch, was in jener Nacht geschehen sei.
Diese Nacht habe sie in ihrem Bett verbracht, was sie ja bereits mehrfach ausgesagt habe.
Für die Frage, ob sie diese Nacht allein verbracht habe, hatte sie nur ein Achselzucken und ein Lächeln, das Jan irgendwie diabolisch fand.
Mehr denn je erschien sie ihm wie eine Irre aus einer griechischen Tragödie. Auch vorher hatte sie nicht wirklich gut ausgesehen, aber jetzt wirkte sie regelrecht verlottert. Das graugesträhnte Haar hing ihr wirr um den Kopf, ihre Mundwinkel zeigten steil nach unten, und ihr Gesicht wirkte zerknittert. Ihr Blick irrlichterte durch die Ecken des Raumes wie ein Suchscheinwerfer. Zu alldem kam noch ein stechender Geruch nach Alkohol. Sie musste am Vorabend eine Menge getrunken haben. Und eine Dusche hatte sie heute auch nicht genommen, dachte Jan und schüttelte sich ein wenig.
Als Reimann die Befragung unterbrach, folgte er ihm nach draußen. Zigarettenpause war gut. Auch wenn er selbst nicht rauchte, so war es immer hilfreich, die Leute ein bisschen allein schmoren zu lassen. Das erhöhte in den meisten Fällen die Nervosität.
»Glaubst du ihr?«, fragte Reimann zwischen zwei tiefen Zügen.
»Kein Wort«, sagte Jan.
»Auf jeden Fall spinnt sie. Die Sache mit den Haaren, also echt.«
Die Sache mit den Haaren war wirklich merkwürdig. Als Jan die Schleheck mit den Proben konfrontiert hatte, hatte sie nur die Achseln gezuckt. Sie brauche Haare für ihre Bilder, hatte sie gesagt. Sie verwende eigene für ihre Selbstporträts.
Es seien aber nicht nur ihre eigenen Haare gefunden worden, hatte Jan gesagt.
Wieder hatte die Schleheck die Achseln gezuckt. Michael Sippmeyer habe sie im Schlaf Haare abgeschnitten. Sie habe die gebraucht.
Wann? Wo?
Bei ihr, in ihrem Bett. Manchmal. Immer wieder mal.
Warum?
Für ein ganz besonderes Porträt. Sie habe lange nach den richtigen Materialien gesucht und schließlich Gold eingearbeitet und Sand vom Rheinstrand, seine Haare seien natürlich dabei gewesen, auch wenn man sie kaum erkenne, die Struktur der Farbe habe sie nachbearbeitet, damit …
Bei der Beschreibung der einzelnen Arbeitsschritte kam plötzlich Leben in die Malerin, sie gestikulierte und hielt den Blick zärtlich auf eine imaginäre Leinwand gerichtet.
Verrückt, dachte Jan und fragte weiter.
Und Margit Sippmeyer?
Der Blick der Schleheck verschloss sich wieder. Der habe sie keine Haare abgeschnitten, das sei ihr zu gefährlich gewesen.
Ob sie das genauer erklären könne, hatte Jan gefragt.
Wieder hatte sie die Achseln gezuckt. Sie habe eine Zeitlang erwogen, nachts bei Sippmeyers einzusteigen und Margit im Schlaf Haare abzuschneiden, habe es dann aber gelassen. Stattdessen habe sie dann Haare aus Margits Haarbürste entwendet, die auf der Frisierkommode lag.
Wann?
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