Nibelungenmord
auf seine Festung.
Und jetzt waren sie da, und sie fand es toll.
»Hier findet uns jedenfalls keiner«, sagte Lara. Sie war an die gähnende Fensteröffnung getreten, die Decke um sich gewickelt wie eine Indianerin oder so. Draußen war es kalt und leider nicht so grün wie im Sommer. Er war immer nur hier gewesen, wenn es warm war. Hier in der Villa pfiff der Wind, und es war genauso kalt wie draußen, beinahe zumindest.
Er antwortete nicht. Das Feuerzeug, das er hier deponiert hatte, tat es nicht mehr richtig. Verbissen rieb er immer wieder an dem rostigen Rädchen, um ihm einen Funken zu entlocken. Wenn er den Campingkocher anbekam, hätten sie wenigstens ein flackerndes Feuerchen, eine Illusion von Wärme, ein bisschen Heimeligkeit.
»Du hast einen Campingkocher?« Neugierig trat Lara näher und strich sich die feuchten Strähnen aus dem Gesicht. »Das ist ja toll. Wir können Kakao machen oder so.« Sie sah sich um und entdeckte das schiefe Regal in der Ecke, das aus unerfindlichen Gründen hiergeblieben war, ebenso wie ein schimmeliger Ohrensessel, in dem Mäuse hausten. In diesem Regal bewahrte Sven seine Sachen auf. Mit einer Tasse in der Hand kam Lara zurück. »Hast du noch eine zweite?«
»Nein.« Nein, hatte er nicht. Er war immer nur allein hier gewesen und hatte nicht gedacht, dass sich das je ändern würde.
»Egal, dann trinken wir aus einer Tasse.«
Er freute sich, als sie das sagte, und umso mehr tat es ihm weh, sie enttäuschen zu müssen. »Wir können keinen Kakao kochen. Wir haben keinen Kakao und keine Milch, nicht mal Wasser. Und den verdammten Kocher kriege ich auch nicht an, das Feuerzeug ist verrostet.«
»Hast du kein anderes?«
»Nee, das steckt in der Kippenschachtel, und die ist bei dir zu Hause. Glaub ich zumindest, in meiner Jacke ist sie nicht.«
»Oh.« Sie sahen sich an.
»Egal«, sagte Lara. »Ich find’s auch so gemütlich.«
Er spürte, wie ihm bei ihren Worten wärmer wurde. »Ich kann ja später noch mal in den Ort. Kakao kaufen und Milch und was zu essen. Und Kerzen und Feuerzeuge.«
»Hast du Geld?«
Sie legten zusammen. Es war nicht viel. Sven ärgerte sich, denn meist hatte er eine Menge Geld herumfliegen. Insgesamt betrug ihre Habe dreiundzwanzig Euro und ein paar Zerquetschte.
»Was machen wir denn jetzt?« Lara hatte begonnen, ihre feuchten Strähnen zu einem Zopf zu flechten. Konzentriert sah sie auf ihre ineinandergreifenden Finger, als sei dies eine ungemein wichtige Aufgabe.
»Ich weiß nicht. Was meinst du?«
»Ich hab Schiss. Irgendwas hat mein Vater damit zu tun, und ich will den nicht sehen. Aber wie ich den kenne, ruft der sofort die Polizei, das heißt dann wohl, woanders kann ich auch nicht hin.«
»Ja«, sagte er.
»Du kannst ja zu dir nach Hause, heute Abend. Wäre super, wenn ich hierbleiben kann. Ich weiß echt nicht, wo ich sonst hinsoll.« Sie sah sich um.
»Quatsch«, sagte Sven. »Ich bleibe natürlich bei dir.«
Sie schwiegen eine Weile und sahen durch die leere Fensterhöhle. Draußen hatte sich der Himmel zugezogen. Es würde bald dunkler werden über den Wipfeln. Und sie würden frieren. Und durstig sein.
»Ich hab noch eine Flasche Cola«, sagte Sven und kramte in seinem Rucksack. »Halb voll, guck.«
»Wenigstens etwas.«
»Und dann gehe ich nachher mal los und kaufe ein und hole noch was Geld, okay?«
»Ich werde mich ganz schön fürchten, hier allein.« Lara zog die schmalen Schultern zusammen und kuschelte sich wärmesuchend unter die Decke, aber viel gab sie nicht her.
»Das musst du nicht. Ich bin bald zurück.«
»Ruf mich an, wenn was ist.«
»Ach ja, unsere Handys …« Sven zog seins hervor und sah aufs Display. Kein Empfang. »Hast du Empfang?«
»Lass mich mal … Oh!« Sie setzte sich auf und tastete in ihren Taschen. »Ich muss mein Handy zu Hause vergessen haben.«
»Umso besser. Wenn dein Vater echt die Polizei ruft … ich schalte meins auch aus.«
»Klar.« Beide lauschten, als er sein Gerät abstellte, in der Stille laut der Signalton erklang, ehe das Display erlosch.
»Gut.« Sven stieß die Luft aus, die er viel zu lange angehalten hatte. Dann wühlte er in seinem Rucksack, fand, was er suchte, tat, was er tun musste.
Lara lächelte, als er ihr die Flasche anbot. »Du hast sicher auch Durst.«
»Nö«, sagte er. »Echt nicht. Und ich kann ja auch gleich im Ort was holen.«
Er sah zu, wie sie die Flasche leerte. Dann legte er den Arm um ihre Wolldeckenschultern und zog sie an sich. Er
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