Nibelungenmord
sie eine Rivalin aus dem Weg räumen will, sondern weil sie die andere für ihre bekloppten Bilder braucht.«
Ein weiterer Einsatzwagen bog in die Einfahrt, und Jan trat den Kollegen entgegen.
»Morgen.«
»Morgen.«
»Wir suchen ein Bild, etwa eins zwanzig mal eins fünfzig. Es zeigt einen Mann mit goldenen Haaren, einen nackten Mann.«
Das Grinsen der Beamten erschien ihm unangemessen.
»Die Besitzerin hat es selbst als vermisst gemeldet, wir vermuten aber, dass sie es hier versteckt hat. Und dann suchen wir Spuren von Margit Sippmeyer, möglicherweise auch sie selbst. Entweder lebendig oder ihre Leiche.«
Glaube ich das wirklich?, dachte er. Glaube ich wirklich, dass Schleheck ihre Rivalin irgendwo lebendig gefangen hält, um ihren Körper zur Verfügung zu haben? Einen Körper, mit dem sie gruselige Collagen herstellen will?
Ja, dachte er, für so verrückt halte ich sie. Das gibt Sinn. Und wo sonst ist Margit Sippmeyer?
Ihm schauderte, wenn er daran dachte, was sie möglicherweise finden würden. Das Schlimmste wäre nicht Margits Leiche. Sondern ihr blondes Haar, in Farbe ertränkt. Pailletten, die ein Kleid aus Acryl säumten. Ein goldener Ehering an einem Finger aus Leinwand. Oder vielleicht ein echter Finger in einem papiernen Ring? Hilfe, dachte Jan. Funktionierte die Kunst dieser Malerin tatsächlich so?
Diese Authentizität hatte die Kuratorin gerühmt, und selbst in der Erinnerung stolperte er über die Silben.
Künstler. Alles Irre. Sein Urteil schloss auch eine dichtende Altphilologin ein, die gerade in Umbrien weilte und ihre alte Mutter und ihren heiratswilligen Sohn dem Schicksal überließ.
Elena stand neben dem Hauseingang, wühlte mit der Stiefelspitze in der Kiste mit Rüben und Sand und sprach auf ihr Handy ein. Als sie Jan sah, machte sie eine abwehrende Bewegung und bedeutete ihm zu schweigen, dann klappte sie das Gerät zusammen und trat auf ihn zu.
»Das war der Staatsanwalt. Er will genau wissen, was Gernhart gesagt hat.«
»Das hab ich dir doch alles schon berichtet.«
Elena hob die Hände. »Das reicht ihm offenbar nicht, um den Einsatz zu rechtfertigen.«
»Mehr haben wir nicht. Nur die Spuren auf den Bildern, die eine Verbindung zwischen den Frauen beweisen. Und genau diesen Beweis, dass die beiden in Kontakt waren, haben wir die letzten Tage gesucht.«
»Das reicht ihm nicht«, wiederholte Elena.
»Mir reicht es.«
»Okay. Dann suchen wir weiter.« Sie drehte sich auf dem Absatz um, und er sah ihr nach, froh, dass sie ihn der Verlegenheit enthoben hatte, sich bei ihr bedanken zu müssen.
»Kriminalhauptkommissar Seidel?«
Den Mann im weißen Plastikoverall hatte Jan noch nie zuvor gesehen, er musste zu der von Elena georderten Verstärkung gehören. Er hatte ein verkniffenes Nagergesicht und einen dünnen Schnauzer.
»Ja?«
»Wir haben zwischen dem Werkzeug etwas gefunden.« Er hielt einen undefinierbaren Metallgegenstand in einer Plastiktüte hoch.
»Was ist das?«
»Vermutlich eine Art Spatel. Der Griff ist aus Holz, der Rest aus Stahl.«
»Aha.«
»Schauen Sie mal hier, das sieht nach Blut aus. Die Flecken …« Das Nagetier sprach weiter, aber Jan hörte nicht mehr zu.
Das ist es, dachte er. Ich habe es gefunden. Dunkle Flecken am Metall, eine zarte Kruste am Griff. Blut. Er spürte ein inneres Zittern, einen Adrenalinschub, der ihm bei der Arbeit noch nie vorgekommen war.
Er hatte recht gehabt. Seine Großmutter hatte ihn rausgeschmissen, das Treffen mit Nicoletta war ein Desaster gewesen, aber heute hatte er, Jan Seidel, einen richtig guten Job gemacht. Er hätte nie gedacht, dass sich das so gut anfühlen würde.
Das Nagetier sah ihn irritiert an, und hastig nickte er ihm zu. »Danke. Ich nehme das schon mal mit aufs Präsidium. Machen Sie weiter, ich komme später wieder vorbei.«
Er sah auf die Uhr. Es war Zeit, Romina Schleheck in die Mangel zu nehmen. Und danach würde er wiederkommen und weitersuchen. Er würde den ganzen Tag und die ganze Nacht suchen.
Er würde suchen, bis er Margit Sippmeyer gefunden hatte.
Oder das, was von ihr übrig war.
*
Früher einmal war das Sommerschlösschen ein Prachtstück gewesen, ein Kleinod unter den wenigen Privathäusern auf dem Drachenfels. Vanillegelb hatte es aus dem dämmrigen Grün des Waldes geleuchtet, kunstvolle Mosaikfenster hatten aufgeblitzt, wenn einmal ein Sonnenstrahl durch das Blätterdach aus Buchen und Birken drang.
Ein wirkliches Prachtstück, ganzer Stolz seiner Bewohner. Leider
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