Niccolòs Aufstieg
Gast, ein Mann von großem Selbstbewußtsein und einiger Erfahrung mit der Familie van Borselen, entdeckte plötzlich, daß es leider schon sehr spät war, und meinte, er verdiene Strafe dafür, Meester Florens und seine Frau vom Zubettgehen abgehalten zu haben. Aber ihre großzügige Gastfreundschaft und anregende Gesellschaft seien schuld an seinem Vergehen.
Einige Gäste erhoben sich. Unter ihnen Claes und widerstrebend auch Felix. Das unbekannte Mädchen brauchte Hilfe beim Aufstehen, die Claes ihr gewährte. Sein Blick war dumm wie der eines importierten Affen. Ja, wirklich. Und die Muskeln unter seinen Ärmeln hatte er vom Schwenken schweren Tuchs in der Färberküpe. Jetzt waren seine Grübchen wieder zu sehen, das Mädchen blickte zu ihm auf und sagte etwas mit blitzenden Augen. Er antwortete. Das Mädchen lächelte.
»Katelina!« sagte ihr Vater. »Du träumst. Bitte geleite die Damen hinaus.« Gehorsam und mit einem gewissen bitteren Vergnügen brachte sie sie zu den Toren des Gasthauses, dann drehte sie sich um und wollte ihrem Vater folgen, als sie mit jemandem zusammenstieß. Claes hielt sie, seine Hand an ihrem Ellbogen beinahe unsichtbar, und sagte: »Sie hat einen Erbanspruch auf drei Bäckereien in Aalst. Was haltet Ihr davon?«
Der Schmerz verflog, als hätte er ihn weggeblasen. Katelina hob die Hand, und als er seine senkte, umfaßte sie sie und hielt sie gegen seinen Willen fest. Im Licht der Hoflampen sah sie seinen Blick zu ihrem Vater fliegen, der auf der Treppe wartete, und dann wieder zurück zu ihr. Sie achtete darauf, daß seine von ihren Fingern umschlossene Hand im Schatten blieb. Er lächelte und sagte: »O Madonna, Ihr müßt hineingehen.« Und da war in ihr ein ganz neues schmerzhaftes Verlangen erwacht.
Ihr Vater kam die Treppe wieder herunter, er sah verärgert aus. »Also dann morgen früh«, sagte Katelina laut. »Meine Dienerin wird dir das Päckchen geben. Vater, Ihr habt doch nichts dagegen? Claes ist so freundlich, etwas für mich zu erledigen.«
Ihr Vater lächelte. »Du bist ein guter Kerl«, sagte er. »Felix könnte es nicht besser treffen. Es tut mir nur leid, daß du nicht in Brügge bleiben kannst. Aber die Fremde lockt, nicht wahr? Und der Ehrgeiz. Du wirst Erfolg haben. Davon bin ich überzeugt.«
Und dann kam Felix zurück, der wegen eines menschlichen Bedürfnisses so plötzlich verschwunden war und nun noch einmal seinen Dank aussprechen und sich verabschieden wollte. Und noch ehe sie danach vom Hof auf die Straße traten, begann er Claes zu beschimpfen, daß er nicht vorausschauend genug gewesen war, Zimmer im selben Gasthaus zu bestellen. Claes, der ihm sonst meist eine freche Antwort gab und damit seine gute Laune wiederherstellte, war weit weniger gesprächig als sonst.
Und das war van Borselens Schuld. Diener sollten nie zum Essen eingeladen werden, sonst bilden sie sich ein, sie könnten sich alles erlauben.
Katelina zog sich in ihr Zimmer zurück. Es war das Vorrecht einer Dame, junge Männer auf die Probe zu stellen und ihr Begehren anzustacheln, ohne es zu befriedigen. Wenn Claes nicht kam, war die Sache erledigt. Er war ein Diener, und eben ein Feigling.
Wenn er erst morgen in die Gasthausräume der Familie käme, um ihren Auftrag vor aller Augen abzuwickeln, so würde ihr das noch etwas verraten. Daß er prüde war.
Wenn er einen anderen Weg nähme, ihrer Dienerin vertraute, auf die Wirkung von Bestechung vertraute, auf ihre Diskretion vertraute, dann wäre er ihrer allzu sicher, sich seiner selbst allzu sicher, ungalant. Und dazu unaufrichtig, nach allem, was er gesagt hatte.
Er kam vor der Morgendämmerung. Sie schlief. Ihre Dienerin weckte sie. Als er dann die Tür öffnete und sie äußerst leise wieder schloß, saß sie im Bett. Sie hatte das Laken hochgezogen und fest um sich geschlungen. Eine Kerze, abgeschirmt gegen die Tür, war angezündet worden. Sie hatte ihr Haar aus dem für die Nacht geflochtenen Zopf gelöst.
Er blieb an der Tür stehen. »Seid Ihr in Schwierigkeiten?« fragte er leise. Seine Stimme klang beruhigend, aber sein Gesicht zeigte eine Besorgnis, die sie nicht mißverstehen konnte. Natürlich. Darum war er gekommen.
Der Stolz verlangte, daß sie ihm die Wahrheit sagte und ihn wegschickte, doch das Verlangen ihres Körpers war stärker. Ihre Kehle war trocken. »Ja«, sagte sie.
Er kam sofort an ihr Bett und kniete nieder, so daß ihrer beider Augen auf gleicher Höhe waren. Sie sah den Schimmer von Bartstoppeln
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