Niccolòs Aufstieg
hinterherzulaufen und ihn anzufassen. Er hoffte nur, der Konsulent würde so klug sein, den Lehrling geradewegs zur Färberei der Charettys zu bringen und ihn dort festzuhalten, bis die Aufregung sich legte. Oder besser noch, ihn, und Felix mit ihm, nach Löwen zurückzuschicken. Er überlegte, ob tatsächlich dieser Claes die Haube von Marian de Charetty angefertigt hatte, denn Magriet würde ihn bestimmt danach fragen. Als er das Fadengewirr, das die Kinder vor seinen Füßen fallen gelassen hatten, aufhob und sich genauer ansah, kam er zu dem Schluß, daß es wohl tatsächlich so war.
Er verabschiedete Katelina, und als er zurückkam, unterhielt der Grieche sich gerade mit dem Seidenhändler Arnolfini aus Lucca, der, soweit er sich erinnerte, gar nicht eingeladen war. Messer de’ Acciajuoli hielt das Brettspiel der Kinder in seinen Händen und schob müßig die Steine hin und her. Als Anselm eintrat, blickten beide auf, worauf Arnolfini und er einige Grußworte wechselten.
Der Kaufmann aus Lucca war offenbar ohne besonderen Grund vorbeigekommen. »Allein aus Hochachtung vor Eurem selbstlosen Einsatz. Ihr habt, so berichtet man mir, Eure Muße geopfert, um den Schöffen eine Entscheidung über diese heikle Angelegenheit mit der Kanone zu ersparen. Wir sind alle beeindruckt.«
Den Blick unverwandt auf das Brettspiel gerichtet, sagte der Grieche freundlich: »Es wurden hohe Geldstrafen verhängt. Doch die Zünfte sind ja reich.«
»In der Tat«, stimmte Arnolfini zu. »Reich und solvent. Wie ich gehört habe, wurde die Zahlung bereits geleistet. Noch ehe das Urteil gefällt wurde. Wer hat eigentlich dieses überaus seltsame Spiel erfunden?«
»Das weiß ich nicht mehr«, erwiderte Anselm Adorne und war durchaus nicht überrascht, als der Grieche mit einem Lächeln auf den Lippen aufblickte.
KAPITEL 3
Der Himmel war blau, als Katelina van Borselen in Begleitung ihrer Dienerin Adornes Haus verließ, der Wind kräuselte kaum ihren Umhang aus Seidensamt. Seit zwei Tagen war sie wieder daheim in Flandern.
Das Haus in der Zilverstraat, das ihr Vater bewohnte, lag an der anderen Seite der Stadt. Anselm Adornes lackiertes Boot wartete mit drei Leuten zu ihrer Bedienung am Ende des Gartens auf sie. Sie ließ sich den längeren Weg nach Hause rudern, vorbei am Kloster der Karmeliterinnen, an der St. Gilliskirche, am imposanten Bau der Augustiner und an der schönen St. Jakobskirche. Von dort aus waren die Türme von Prinsenhof zu sehen, wohin gerade erst mit so viel Umstand und Ärger das Badebassin des Herzogs von Burgund transportiert worden war. Aber daran wollte sie nicht denken, so wenig wie an den nachdenklichen Blick des Konsulenten namens Julius. Sie ließ sich von den Leuten fast bis zum Freitagsmarkt rudern.
Von Venedig hieß es immer, es habe Dutzende Brücken, aber Brügge mußte an die hundert haben: aus Stein, mit mandeläugigen Heiligen und matt gewordenem Gold verziert; aus Holz, mit schmutzig-schwarzen Schlieren an den Bohlen und moosig-grünen Buckeln. Die Straßen waren voller Menschen, doch der Fluß, nach allen Richtungen gegabelt, verzweigt, in Kanäle geleitet, war die Hauptverkehrsader, auf der die Schiffe sich Dollbord an Dollbord drängten, schwer beladen, bis unter das Deck vollgestopft mit Säcken, Kisten und Körben, Tieren und Menschen: Nonnen und Beamten, einheimischen Kaufleuten und fremden, Geistlichen, Konsuln und Gastwirten. Und dazwischen sah man die Kapitäne der in Sluis liegenden Schiffe, die auf den geraden Strecken in ihren schmalen Booten mit umlegten Masten vorbeischossen.
Auf beiden Seiten glitten an krummen Ufern Backsteinhäuser mit kreuz und quer gesetzten schiefen Fenstern und Balkonen voller Blumentöpfe vorüber und Dächern, die gewellt waren wie die Ränder von Pastetenschalen. Ihre Fundamente, ihre Fluttore, die Türen ihrer Lagerhäuser, alles reichte bis an den Kanal herunter. Die Stufen ihrer Anlegestellen führten in kleine verschwiegene Gärten hinauf, aus denen noch Rosen über die Mauern fielen, die sich in der Zugluft eines vorüberfahrenden Boots leise bewegten und ihm ihre Düfte nachsandten.
Die van Borselens stammten aus Seeland, aber Katelina konnte sich gut vorstellen, ein Bürger der Stadt Brügge zu sein.
Edinburgh war grauer Stein und graues, silbriges Holz und bestand ganz aus steilen Straßen. Brügge war flach. Brügge war schimmernder, warmer Backstein, und seine Straßen lagen zu Füßen turmbewehrter Herrenhäuser und schmaler hoher
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